Digitale Strategien und Transformation im Lokalen standen am Donnerstagnachmittag im Mittelpunkt des Gesprächs zwischen Barbara Zinecker, stellvertretende Chefredakteurin der Nürnberger Nachrichten, Judith Conrady, stellvertretende Chefredakteurin der Südwest Presse, und Jasmin Off, Mitglied der Chefredaktion des Redaktionsnetzwerks Deutschland.
Woran derzeit gearbeitet wird
Bei Madsack und dem Redaktionsnetzwerk Deutschland steht derzeit alles unter dem Motto „One Platform“. „Es geht darum, alle regionalen Häuser auf eine Plattform zu bringen“, erzählte Off. Dazu gehört ein neuer Digitalauftritt mit neuer Webseite und neuer App. „Der Hintergedanke dabei ist, dass wir bei der digitalen Transformation nur mit regionalen Inhalten nicht weiter kommen“, sagte Off weiter. Auch das Überregionale werde gebraucht, beispielsweise in Form von Newslettern und Podcasts. Deshalb werden alle zwölf Regionalredaktionen mit der Zentrale in Hannover verzahnt, derzeit gibt es bei allen Regionalportalen einen Relaunch. „Außerdem kommen bei uns alle Tätigkeiten auf den Prüfstand“, erklärte Off. Es werde genau analysiert, womit sich die Mitarbeiter eigentlich beschäftigen. „Wir kommen nicht weiter, wenn wir nicht auch Dinge weglassen“, meinte sie.
Auch in Nürnberg werde derzeit „aufgeräumt“, sagte Zinnecker. Dabei gehe es etwa darum, wo durch Technologie Zeit gespart werden könnte. „Uns beschäftigt zum Beispiel, ob wir Newsletter automatisieren können, um mehr Zeit für Inhalte zu haben.“
Technische Verbesserungen stehen auch bei der Südwest Presse im Fokus. „Wir wollen nutzerfreundlicher werden“, sagte Conrady. Sie stelle sich etwa die Frage, ob die Webseite stärker personalisiert werden könnte.
Spezialisten statt Alleskönner
Bei der Suche nach Personal müsse ein Umdenken stattfinden, meinte Off. „Früher haben wir oft die eierlegende Wollmilchsau gesucht.“ Besser sei es jedoch, wenn jeder in der Redaktion das mache, was er am besten kann. Diese Neuausrichtung sei außerdem hilfreich bei der Suche nach neuen Mitarbeitern. „Es sind viel gezieltere Ausschreibungen möglich“, sagte Off.
Für viele jüngere Menschen sei das Label der Lokalzeitung jedoch eher unattraktiv. „Da denken viele immer noch an Print“, meinte Off. Die Branche müsse mehr Selbstmarketing betreiben, damit junge Menschen die beruflichen Möglichkeiten kennen. „Auch wir brauchen zum Beispiel Datenanalysten, das wissen viele gar nicht“, betonte Off.
Die Basis muss mitziehen
Eine Aufgabe ihrer Chefredaktion sei es, Strukturen zu schaffen, damit jeder seinen Aufgaben auch wirklich nachkommen könne, erzählte Conrady. „Wir müssen genau hinschauen, ob Anforderungen und Realität zusammenpassen“, ergänzt sie. In Nürnberg gebe es nun Produktteams, nicht nur im Digitalen sondern auch im Print. Dort werde bereits sehr gut gearbeitet, erzählt Zinnecker. Eine größere Aufgabe sei es jedoch, die Basis bei der digitalen Transformation mitzunehmen. „Wir müssen immer wieder erklären, warum wir gewisse Dinge verändern“, erzählte sie.
Datentransparenz helfe dabei, das Personal vom digitalen Wandel zu überzeugen, führte Off an. So sei es möglich, gewisse Probleme zu beheben. Beim Redaktionsnetzwerk Deutschland wurden deshalb anonyme Auswertungen von Inhalten eingeführt, um zu zeigen, was bei den Leserinnen und Lesern ankommt und was nicht. „Digitale Messinstrumente helfen uns enorm bei der Blattkritik“, erzählte Off. Es sei aber wichtig, die Zahlen gemeinsam mit den Mitarbeitern zu interpretieren. Auch wegen der Digital-Hub-Struktur bei Madsack sei Kommunikation besonders wichtig. „Die Kolleginnen und Kollegen im Hub entscheiden, wo und wie die Inhalte von den Lokalredaktionen digital ausgespielt werden“, erklärte Off. Das führe dazu, dass die Autorinnen und Autoren ein größeres Augenmerk darauf legten, wo ihre Inhalte landen.
Das sei in Ulm ähnlich. „Wenn der Text nicht schnell irgendwo landet, sind die Autoren hinterher und fragen nach“, sagte Conrady. Das Gefühl für die Relevanz ändere sich. Dadurch mischten sich aber auch mehr Leute ein.
Weg vom Print-Rhytmus
„Für Regionalverlage heißt digitale Transformation, dass man die komplette Herangehensweise verändern und sich vom Print-Rhythmus entfernen muss“, meinte Conrady. Es sei wichtig, die Perspektive von Autoren einzunehmen, damit man ihnen die Veränderungen erklären kann. Außerdem müssten Verlage wissen, warum sie den digitalen Wandel vollziehen. „Was macht uns aus?“, müssten die Häuser sich fragen. Und bei der Erschließung von neuen Geschäftsfeldern sei eine klare Trennung von journalistischen und nicht-journalistischen Angeboten zu beachten.
Weniger ist mehr
Die Ausrichtung weg vom Terminjournalismus sei grundsätzlich gut, meinte Conrady. „Trotzdem müssen wir mitkriegen, was in der Region los ist.“ Lokalredakteure wüssten selbst am besten, zu welchen Akteuren in der Region Zugänge bestehen oder erarbeitet werden müssten und welche Termine besucht werden müssen, um an aktuelle Informationen zu kommen.
In Hannover geht es derzeit darum, ob die Printproduktion nicht automatisierbar ist. „Wir müssen den Fokus umdrehen“, meinte Off. Lange war Print das Kerngeschäft und das Digitale eine zusätzliche Aufgabe. Nun gehe es darum, wie man neben der digitalen Ausrichtung noch die Printausgabe verwirklichen kann. „Außerdem müssen wir mehr über Inhalte sprechen“, sagte Off. Es gebe viel zu viele Themen, die die Leser nicht interessieren. „Gegebenenfalls müssen wir manche Waren dann vom Markt nehmen“, schließt sie daraus.
Auch die Effektivität von digitalen Workflows müsse man begutachten, befindet Zinecker. Wo kann Technik helfen, was lässt sich automatisieren, damit sich Mitarbeiter stärker auf Inhalte konzentrieren können? „Viele Prozesse kann die Maschine besser als wir“, sagte Zinecker.
Anforderungen an Journalisten überdenken
Die Branche müsse außerdem überdenken, welche Zugangsvoraussetzungen sie anlegt. Es müsse einen „Mindestkatalog“ für Lokalredakteure definiert werden. Jeder müsse in der Lage sein, digital zu arbeiten. „Journalisten sind heutzutage ihre eigenen Verkäufer, sie müssen Daten analysieren können“, meint Off. Die Leser müssten wissen, wofür sie Geld bezahlen, am besten schon in der Überschrift. „Unsere Leser müssen wissen, wofür die Zeitung steht“, so Off. Das gelte gerade auch für jüngere Zielgruppen. Die Branche müsse ihnen Beweisen, dass ihre Inhalte spannend sind.
Mehr Mut zum Experiment
Bei der Auswahl der Inhalte für den Plus-Bereich wird in Nürnberg ein komplexes Regelwerk verfolgt, erzählte Zinnecker. Gerade debattiere die Redaktion wieder über die Content-Strategie. „Wir könnten eigentlich mehr Plus-Artikel bringen, als wir es gerade tun“, sagte Zinecker.
Bei der Südwest Presse in Ulm gab es gerade ein Experiment zur Plus-Quote, bei der die Paywall automatisiert wurde. „Leser, die oft unsere Inhalte klicken, sollten diese häufiger hinter der Paywall sehen“, erläuterte Conrady. Leser, die die Seite seltener besuchten, sahen hingegen häufiger freie Artikel. Es habe sich jedoch gezeigt, dass der Algorithmus noch nicht ausgereift ist. Die Automatisierung sei dennoch eine Möglichkeit, die Redaktion zukünftig zu entlasten.
Off wünscht sich, dass generell mehr ausprobiert wird. Die Branche müsse mehr Mut zeigen und bei der digitalen Transformation etwa auch Trends wie Gamification und Rabattmodelle oder Micropayment berücksichtigen.
Hier sehen Sie ein drehscheibe-Interview mit Jasmin Off, das auf dem Forum geführt wurde.