Prof. Dr. Alexandra Borchardt, Leiterin des Journalism Innovators Program der Hamburg Media School, übernahm die Keynote des 25. Forums Lokaljournalismus.
Zunächst warf die Medienforscherin einen Blick auf die derzeitige Lage. Ausgehend vom Digital News Report 2021 lasse sich feststellen, dass das Vertrauen in die Medien gerade auch während der Corona-Pandemie gestiegen ist. „Auch junge Leute haben sich während der Pandemie an traditionelle Medien gewandt“, fasste Borchardt zusammen. Laut dem Leibniz-Institut für Medienforschung stehen Lokalzeitungen direkt hinter ARD und ZDF auf dem dritten Platz, wenn es um das Vertrauen gegenüber journalistischen Inhalten geht. Erfreulich sei außerdem, dass gerade auch aus der Altersgruppe der 18- bis 24-jährigen immerhin jeder Fünfte bereit wäre, für journalistische Inhalte zu zahlen.
Wenn Nachrichten gemieden werden
„Diese guten Nachrichten sind aber kein Grund, sich zurückzulehnen“, fuhr Borchardt fort. Anhand des Digital News Reports von 2019 machte sie klar, was Menschen weltweit über Journalismus denken. Positiv sei zunächst, dass 62 Prozent der Befragten sagten, dass sie vom Journalismus gut informiert werden. Allerdings befanden nur 29 Prozent, dass die dort behandelten Themen relevant für ihr eigenes Leben seien.
Als besonders bedrückend empfindet Borchardt, dass nur 16 Prozent der Befragten sagen, dass die Medien den richtigen Ton wählen. Das liege unter anderem daran, dass Medien zu negativ berichten. Für den Journalismus sei es wichtig, positive Nachrichten nicht auszusparen.
Etwa ein Drittel der Befragten befand, dass sie das Nachrichtenaufkommen erschöpfe. „Es ist die Qualität, nicht die Quantität, die Menschen begeistert“, sagt Borchardt. Davon ausgehend sagten rund 32 Prozent, dass sie es oft vermieden, Nachrichten zu konsumieren, weil es zu anstrengend sei. Aus diesen Zahlen schloss Borchardt, dass die sogenannte News Avoidance, also die Vermeidung von Nachrichten, für Medienhäuser ein größeres Problem sei als fehlendes Vertrauen.
Chancen für den Journalismus
Krisen wie die Corona-Pandemie, der Krieg gegen die Ukraine oder der Klimawandel böten Chancen für den Lokaljournalismus. „ Sie sind aber alle sehr unterschiedlich zu betrachten“, meint Borchardt.
So hätten etwa bei der Corona-Krise die ständig neuen Erkenntnisse dazu geführt, dass das Vertrauen der Medienhäuser auf dem Prüfstand stand. Viele Nutzer hätten sich gefragt, wem man noch glauben könne. Deshalb sei Transparenz hier besonders wichtig. Zeitungen müssten deutlich machen, woher ihre Informationen stammten und welche Experten sie dabei zu Rate ziehen.
Der Krieg gegen die Ukraine sei grundsätzlich ein schwieriges Thema für den Lokaljournalismus, da die meisten Menschen sich eher in überregionalen Medien darüber informierten. Trotzdem sei es wichtig, dass Zeitungen lokale Bedürfnisse im Bezug auf den Krieg identifizierten. Etwa wie man den Menschen in der Ukraine oder Geflüchteten helfen könnte. Der seriöse Journalismus dürfe bei der Berichterstattung die Emotionalität nicht aussparen und dem Boulevard oder Bloggern überlassen.
Bei der Berichterstattung über den Klimawandel gebe es das Problem, dass die Menschen keinen akuten Leidensdruck verspürten, das Interesse also messbar gering sei. Außerdem seien Lösungen für die Probleme unbequem. Das Thema sei sehr komplex. „Redaktionen sind generell zu wenig auf Wissenschaftsberichtung ausgerichtet“, meint Borchardt. Es sei notwendig, den Klimawandel als „Querschnittsthema“ zu verstehen. Alle Ressorts müssten sich damit befassen. Darin liege eine auch Chance, sich ein junges Publikum zu erschließen.
Gute Berichterstattung während Corona
Laut einer Studie der Augstein-Stiftung hat der Journalismus während der Corona-Pandemie Krisenfestigkeit bewiesen. Die Nutzerinnen und Nutzer stellten den Medienhäusern ein gutes Zeugnis für die Corona-Berichterstattung aus. Dementsprechend sei es wichtig, sich von Vorwürfen der einseitigen und unkritischen Berichterstattung nicht beirren zu lassen, meint Borchardt. Der Lokaljournalismus landete auch hier direkt nach ARD und ZDF auf dem dritten Platz bei den bevorzugten Quellen, in denen sich Menschen in Deutschland über die Pandemie informierten. Eine weitere Chance für den Lokaljournalismus liege darin, dass viele Menschen in Deutschland, nämlich zwei Drittel, nach wie vor sehr heimatverbunden seien. „Lokaljournalismus kann Menschen ihre Orte nahebringen“, sagt Borchardt. Zeitungen könnten als Bindeglied in der Region wirken.
Was Lokalzeitungen tun können
Journalisten sollten einen Perspektivwechsel vornehmen, indem sie von „Besserwissern“ zu Forschenden werden. „Dabei sollten Sie sich fragen, was Ihre Nutzerinnen und Nutzer wirklich brauchen und womit Sie sie vielleicht auch überfordern“, meint Borchardt. Redaktionen produzierten oft am Bedarf der Leserinnen und Leser vorbei. Informationen und News-Updates seien dabei nur eines der Bedürfnisse von Nutzerinnen und Nutzern. „Sie wollen beispielsweise inspiriert werden, sich bilden und suchen auch nach Ablenkung“, benannte Borchardt weitere Wünsche der Leserschaft.
Probleme beim digitalen Wandel
Häufig werde etwa zu sehr auf das Okay von „oben“ gewartet. Dabei sei es oft das beste, einfach mal loszulegen. Letztlich würden vor allem belegte Erfolge die Vorgesetzten überzeugen, Projekte anzugehen. Außerdem sei es wichtig, dass Teams mit Mitarbeitern aus verschiedenen Abteilungen zusammengesetzt werden, wie etwa Redaktion, Marketing und auch Daten. Die Bedeutung von Content und klassischem Journalismus werde allgemein überschätzt. „Nicht-Journalistische Inhalte tragen zur Kundenbindung bei“, meint Borchardt. Außerdem sei die Sorge vor der Kannibalisierung der Verlagsprodukte unbegründet. Auch treue Printleser ließen sich digital aktivieren. Um Innovationen herbeizuführen sei es besonders wichtig, dass Innovationsteams andere im Verlag mitnehmen und so die Kultur im ganzen Haus verändern können.