Die Keynote zum 24. Forum Lokaljournalismus übernahm Ines Imdahl, Geschäftsführerin des Marktforschungsinstituts rheingold salon aus Köln.
Wie ticken junge Deutsche und welche Bedeutung hat das für den Journalismus? Diese Fragen wollte Imdahl anhand der Ergebnisse mehrerer Studien beantworten. Darin seien eine Vielzahl an tiefenpsychologischen Einzelinterviews geführt worden, anschließend seien „Highlights“ der Interviews in repräsentativen Umfragen abgefragt worden, erklärte Imdahl die Methodik.
Deutsche Tugenden dienen der Harmonisierung
Sie habe Deutsche danach gefragt, was sie als typische Verhaltensweisen für sich und ihre Landsleute angeben würden, erzählte Imdahl. Wie zu erwarten, seien dabei etwa Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit als typisch deutsche Eigenschaften aufgezählt worden. Diese Tugenden stünden sinnbildlich dafür, dass die Deutschen nach Harmonisierung strebten, erklärte Imdahl. Sie würden Konflikte gerne vermeiden, diplomatisch aufreten. Dies gehe einerseits vermutlich darauf zurück, dass Deutschland in beiden Weltkrieg als Agressor fungierte. Anderseits wolle man wegen der enormen Wirtschaftskraft nicht protzig auftreten, diese nicht zur Schau stellen. Kanzlerin Merkel bediene diese Verhaltensweisen in besonderem Maße. Auf internationaler Ebene wolle Deutschland sich als solider, starker, aber eben auch „harmloser“ Partner zeigen.
Kontrollverlust auf mehreren Ebenen
Wie die Studien gezeigt hätten, strebten junge Menschen nach Sicherheit. Ihr Fokus liege insbesondere auf der Familie und Freundschaften und weniger auf Liebesbeziehungen. Das liege daran, dass die junge Generation auf mehreren Ebenen ein Gefühl des Kontrollverlusts erleben würden.
Die erste Ebene sei die der Körperlichkeit. Die Veränderungen des Körpers während der Pubertät verunsichere junge Menschen. „In unseren Interviews zeigte sich, dass die Befragten ungern über Sexualität sprechen wollten und dass das Thema ihnen äußerst peinlich ist“, schilderte Imdahl ihre Erkenntnisse. Dies liege auch daran, dass junge Menschen freien Zugang zu Pornographie hätten. Die dort gezeigten extremen Ausprägungen der Sexualität würden die eigene Sexualität für Jugendliche seltsam banal erscheinen lassen.
Die zweite Ebene des Kontrollverlustes sei die der Gesellschaft. Die Jugend wachse mit einem anhaltenden Gefühl der Krise auf, erklärte Imdahl. Dadurch bewegten sie sich in einem permanenten Gefühl der Verunsicherung.
Die dritte Ebene sei die der Familie. „Die private Konstellation wird als unsicher empfunden, selbst wenn die Jugendlichen in einer intakten Familie aufwachsen“, beschrieb Imdahl. Die Auflösung von Familienkonstellationen erlebten sie entwerder selbst oder in ihrem im Umfeld.
Ästhetisierung des Körpers als Maß der Kontrolle
Die körperliche Ebene sei die einzige Ebene, auf der die Jugendlichen die Kontrolle zurückgewinnen könnten, erklärte die Marktforscherin. Dies äußere sich etwa darin, dass sowohl Mädchen als auch Jungen deutlich mehr Geld für Kosmetik ausgeben als frühere Generationen. „Ein gepflegtes Äußeres wird als besonders wichtig empfunden“, führte Imdahl aus. Anhand des Aussehens werde der Charakter des Gegenübers bewertet. „Die Bearbeitung der eigenen Oberfläche dient außerdem dazu, die Kontrolle des eigenen Innenlebens wiederzuerlangen“, fasste Imdahl zusammen. Diese Ästhetisierungskultur sei eine extreme Ausprägung des Harmonisierungsbedürfnisses der Deutschen.
Die Freiheit liegt im Privaten
Die Deutschen würden stark zwischen privaten Freiheiten und großen Ideen, wie etwa der Meinungsfreiheit, unterscheiden. Der Fokus liege auf individuellen Lebensweisen. Gesundheit und finanzielle Unabhängigkeit seien ihnen etwa besonders wichtig. Politisches Engagement spiele hingegen nur für wenige eine Rolle. Imdahl berichtete von einem Experiment, indem sie Freiheiten als käuflich benannte. Es habe sich herausgestellt, dass viele Menschen dazu bereit wären, für Geld viele der großen Freiheiten aufzugeben. Die Einschränkung der großen Freiheiten werde sehr viel selbstverständlicher hingenommen, als die der eigenen privaten Freiheiten und Sicherheiten. Eine weitere Studie zeigte, dass die Pressefreiheit nur für 1,6 Prozent der Befragten wichtig sei.
Instagram als Schauplatz der „individuellen Harmonisierung“
Das soziale Netzwerk Instagram veranschauliche viele der Werte, an denen sich Jugendliche orientierten, erklärte Imdahl. Die Motive seien dort häufig die selben. „Die dort zur Schau gestellte Schönheit soll individuell wirken, ist es aber nicht“, so Imdahl. Im Gegensatz zu Plattformen wie Twitter und Facebook, auf denen diskutiert werde, zeige Instagram nur ein überästhetisiertes Bild des eigenen Lebens. „Alles dort ist harmonisch, beautiful, scheinbar individuell“, erklärte die Marktforscherin. Die junge Generation lebe für die Likes. Die Jagd danach sei wie eine Droge, die Zahl müsse ständig gesteigert werden. Die von ihr Befragten hätten angegeben, dass Likes wichtiger seien, als ein Kompliment auf der Straße. Junge Menschen würden heute viel stärker nach Anerkennung suchen. Instagram stehe für eine „individuelle Harmonisierung“.
Selfies dienten der Abgrenzung von den Erwachsenen. So dienten dabei gewisse Posen als Geheimcodes, die zeigten, „wer dazu gehört“, erklärte Imdahl. Auch ließe sich mit Selfies die Darstellung der eigenen Gefühle kontrollieren. „So wird etwa die eigene Erinnerung optisch optimiert“, fasste die Marktforscherin zusammen.
Was kann der Journalismus tun?
Der Journalismus sieht sich laut Imdahl in Bezug auf seine Wahrnehmung bei jungen Menschen mit mehreren Problemen konfrontiert: Er werde nicht für neutral gehalten, vertrete keine klare Haltung und diene außerdem nur noch 40 Prozenten der Menschen zur Meinungsbildung. Desweiteren seien junge Menschen nicht bereit, für Inhalte zu zahlen.
Um die Jugend zu erreichen sei deshalb in erster Linie eine Anpassung der Form von Nöten. „Journalismus funktioniert nicht mehr über neutrale Inhalte“, erklärte Imdahl. Die Nachrichten würden dann von Jugendlichen gelesen, wenn die ästhethische Form stimme. Deshalb wolle sie die Anwesenden dazu ermuntern, gewagte und auffällige Outfits für ihre Inhalte zu wählen.
Sie wollen noch mehr darüber erfahren? Dann lesen Sie hier in der Präsentation von Ines Imdahl.