Jens Lönneker, Geschäftsführer rheingold salon in Köln hat in Gummersbach ein Keynote unter dem Titel „Die verwirrten Bürger. Wie steht es um die Glaubwürdigkeit der Medien?“ gehalten. Im Interview mit Anke Vehmeier erläutert er seine Thesen.
Sie haben in Ihrer aktuellen Studie eine „neue Pröffentlichkeit“ bei den Deutschen festgestellt. Was ist damit gemeint?
Die westlichen Gesellschaften befinden sich in einem enormen Wandel. Früher gab es historisch gewachsen eine starke Trennung zwischen der Öffentlichkeit und dem Privaten. In der Öffentlichkeit musste man sich nach festen Konventionen verhalten. Dazu gehörte beispielsweise auch, dass man immer möglichst vernünftig und schlüssig argumentieren und auch entsprechend handeln musste. Heute rückt alles, was vorher eher im Privaten verborgen war – also alles Emotionale und Irrationale – viel stärker in die Öffentlichkeit. Das Private und Öffentliche werden miteinander verwoben, es entsteht gewissermaßen eine neue Melange, die wir „Pröffentlichkeit“ nennen. Ein sehr gutes Beispiel hierfür sind die sozialen Medien. Hier stellt sich schon die Frage, ob dort Privates öffentlich gemacht wird, ob da jemand ein öffentliches Medium nutzt, um sich privat zu inszenieren, oder ob im Grunde immer mehr Öffentliches ins Privatleben einfließt.
Woher kommt dieser Wankelmut der Bürger?
In der Entwicklung der öffentlichen Meinung, wie sie Jürgen Habermas beschrieben hat, galt es lange als Errungenschaft der bürgerlichen Gesellschaften, die „Vernunft“ im öffentlichen Raum durchzusetzen – in Abgrenzung zur Willkürherrschaft in feudalen Systemen. Das emotionale oder – wenn man so will – das irrationale Moment wurde deswegen weitgehend in den privaten Raum verdrängt. Plötzlich aber sind jetzt zutiefst emotionale Formen der Artikulation salonfähig geworden. Das verändert auch den öffentlichen Diskurs. Früher verlief eine klare Grenze zwischen dem öffentlichen – Vernunft gesteuerten – und dem privaten – emotional geprägten – Raum. Diese Grenze wird zunehmend durchlässiger. Das liegt auch, aber nicht nur, an der Entwicklung der sozialen Medien.
Welche Lehren können Lokaljournalisten daraus ziehen?
Die klassischen Medien haben bisher traditionell die Regeln des öffentlichen Raums, also der Vernunft bedient – in der Rolle als Meinungsführer. Nun aber drohen ihnen die sozialen Medien aus dem eher privaten, emotionalen Raum quasi den Rang abzulaufen in dieser aktuellen Debatte. Also versuchen die klassischen Medien, die natürlich nicht immer weiter an Auflage und Relevanz verlieren wollen, diese emotionale Wucht aufzugreifen, befeuern diese aber dadurch gleichzeitig. Im Moment fehlt es mir in den Medien an der „ruhigen Hand“, an einer konstruktiven Aufbereitung eines Themas, das auch nicht vor einer kritischen Diskussion halt macht, die ja durchaus unangenehm werden kann. Mir fehlt es da einfach an einer maßvollen Gewichtung auf beiden Seiten. Vielleicht weil auch die Medien selbst unsicher sind, wie sie mit der fließenden Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum umgehen sollen.
„Plötzlich sind zutiefst emotionale Formen der Artikulation salonfähig geworden.“
Der Begriff der Lügenpresse wird immer wieder propagiert. Wie steht es überhaupt um die Glaubwürdigkeit der Medien?
In der Pröffentlichkeit suchen auch Medien nach einer neuen Position. Nur wenn sie „emotionaler“ und „privater“ werden, kommen sie noch auf nennenswerte Reichweiten. Denn nur dann erreichen und berühren sie heute die Menschen. Zugleich riskieren die Medien so aber auch ihre Glaubwürdigkeit, ihre Position als „vierte Gewalt“ im Staate und nähren den „Lügenpresse“-Vorwurf. Dennoch wird die Medienlandschaft sich nach den Erkenntnissen der Studie vermutlich weiter emotionalisieren. Zugleich wird sie aber immer wieder versuchen, Produkte und Stücke mit großer Sachkenntnis und Glaubwürdigkeit zu produzieren, um sich zu rechtfertigen und auch um diesen Bedarf zu bedienen.
Wie können Sie Vertrauen zurück gewinnen?
Ausnahmesituationen wie die Flüchtlingskrise oder die Diskussion um die Türkei, produzieren natürlich immer extreme Äußerungen. Ich denke aber, dass das auf Dauer gesehen keine Relevanz hat für die Mehrheit der Bevölkerung. Ich halte es für wichtig, gerade bei den klassischen Leitmedien wieder zu einer ausgleichenden Rolle zurückzukommen. Die Kunst wird darin bestehen, neue mediale Formate für das neue starke emotionale Moment zu entwickeln und es so ein Stück weit zu integrieren – ohne sich zum Opfer der Emotionalität zu machen. Beispielsweise die Darstellungsformen aus dem emotionalen Raum außerhalb der klassischen Medien aufgreifen und als eigenes Stilmittel weiter zu entwickeln, also mit aufklärerischen Inhalten zu verbinden. Das können beispielsweise Comics sein. Ein gutes Beispiel für ein solches Format finde ich, wie die FAZ im Feuilleton damit experimentiert hat. Oder Leitlinien als Basis für eine Diskussion mit den Lesern aufstellen, wie es zum Beispiel die Verlagsgruppe Rhein-Main macht. Wichtig bei einer solchen Transparenz ist aber auch, dass man ihr in der Praxis gerecht wird und diese Leitlinien als Basis für eine Diskussion mit den Lesern begreift und nicht als Abwehrmaßnahme zur Rechtfertigung der eigenen Positionen.
Interview: Anke Vehmeier