Zum Auftakt der Tutzinger Radiotage 2016 standen direkt die großen Fragen im Raum: Stecken die Medien in einer Glaubwürdigkeitskrise? Soll man mit der AfD reden oder nicht? Die drehscheibe hat bei Ine Dippmann* und Prof. Dr. Caja Thimm* nachgefragt.
Frau Dippmann, Frau Thimm: Sind Journalistinnen und Journalisten Lotsen oder Getriebene?
Ine Dippmann: Wir kommen schon aus einer Situation des Getriebenwerdens. Allerdings geht die Entwicklung dahin, dass wir uns davon emanzipieren, indem wir zum Beispiel selber wieder stärker die Themen setzen. Und eine Rubrik wie „Hörer machen Programm“ hatten wir schon, bevor Pegida oder die AfD ihre Themen gesetzt haben. Wir handeln wieder verstärkt proaktiv und reagieren nicht immer nur.
Prof. Dr. Caja Thimm: Ich glaube nicht, dass die Journalisten Getriebene sind. Vielmehr hat sich die Grundfunktionalität von Medien geändert. Der Journalismus hat dabei eine wichtige Funktion verloren, nämlich die Kontrolle über die Agenda. Das liegt aber nicht daran, dass die Journalisten ihre Qualifikationen über Bord geworfen haben. Sondern es liegt daran, dass heute jede und jeder Nachrichten im Netz produzieren kann.
Welche Konsequenzen müssen daraus gezogen werden?
Thimm: Kluge Redaktionen müssen zum Beispiel einen Social Media Watch einrichten und schauen, was tut sich denn in meiner Stadt, was tut sich in meinem Umfeld, in meinem Wahlkreis. Ich sehe es als eine Chance an, dass Journalisten mit Social Media Monitoring ganz schnell sehen können, was in ihrem Umfeld passiert.
Und was ist mit dem Vorwurf der Lügenpresse?
Thimm: Auch in diesem Zusammenhang sehe ich eine positive Entwicklung. Wenn den Medien zum Beispiel nach der Silvesternacht in Köln vorgeworfen wird, dass sie nicht korrekt berichtet hätten, beschäftigt das viele Journalisten. Zum Glück! So zeigt sich daran doch, dass in diesem Berufsstand selbstkritisch reflektiert und überlegt wird, wie Berichterstattung in so problematischen Situationen klug aussehen kann. Was ich allerdings auch sehe, ist eine zunehmende Überforderung der einzelnen Journalisten als Persönlichkeiten. Persönlichkeiten im Sinne von Individuen, Privatpersonen, die im öffentlichen Raum stehen und angegangen werden. Das ist neu. Ich hoffe sehr, dass die Journalisten da einen guten Umgang für sich finden.
Welche Fehler wurden seitens der Medien im Umgang mit der AfD gemacht?
Thimm: Wenn eine Partei in Wahlumfragen bei zehn Prozent liegt, dann gehört sie in die Wahlkampfrunden, in die Medien. Da brauchen wir nicht mehr darüber diskutieren, ob wir mit denen reden oder nicht. Und es gibt keine „Pfui-Bäh-Parteien“. Selbst wenn sie Inhalte vertreten, die uns nicht genehm sind. Es gilt die Auseinandersetzung und zwar die fundierte, fachliche Auseinandersetzung zu betreiben.
Dippmann: Die eigenen Befindlichkeiten auszuschalten, ist mitunter eine echte Herausforderung. Ich musste mir mal auf einem Parteitag der AfD anhören, dass mein Beruf abgeschafft werden soll. Da ist es schon schwer, sachlich zu bleiben.
Thimm: Das ist klar. Hassrhetorik und massivste Abwertungen muss man auch nicht ertragen, dagegen kann und soll man vorgehen. Dennoch muss eine differenzierte Berichterstattung stattfinden und das hat sie bisher nicht. Aber das kommt jetzt.
Sie meinen, dass man die AfD zum Beispiel immer nur zum Thema „Flüchtlinge“ befragt hat?
Thimm: Ja, das war ein Riesenfehler. Ich glaube, dass man ihnen über wiederholtes thematisches Zuspitzen und Nachfragen beikommt. Was hat die AfD zum Beispiel in Sachen Steuerpolitik oder Schulpolitik zu sagen? Wenn man sie zu anderen Themen befragt, dann kommt man auch dazu, deren Staatsfeindlichkeit aufzuspießen.
Dippmann: Ich stimme Frau Thimm zu. Wir müssen dabei aufpassen, dass wir über die Provokationen, die sie uns hinhalten, nicht wie dressierte Pudel drüber springen. Das ist ja eine klare Masche von ihnen, die wir entlarven sollten.
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*Ine Dippmann ist landespolitische Korrespondentin Sachsen bei MDR Info
*Caja Thimm ist an der Universität Bonn Professorin für Medienwissenschaft und Intermedialität