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SZ bekommt noch dieses Jahr eine Paywall

Querdenken nennt Birgit Kruse ihre Präsentation, die sie am Dienstagnachmittag in der Theodor-Heuss-Akademie hält. Die Ressortleiterin München-Region Bayern von sueddeutsche.de zeigt neue Formate, die auch Kollegen im Alltagsgeschäft umsetzen könnten.

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Die neue Form der News

Nachrichten entstehen auf sz.de seit kurzem modular. Sie alle sind ähnlich aufgebaut: Teaser, ein paar zentrale Bulletpoints, die den Kern der Geschichte anreißen; danach der Hauptteil der Nachricht, der so aufgebaut ist, dass Onlineredakteure die Bausteine bei Aktualisierungen ohne große Mühe austauschen können. „Das hat sich bei uns sehr bewährt, weil wir in einem Schichtsystem arbeiten. Nachrichten werden auch übergeben“, sagt die Ressortleiterin. Klar sei die Produktion aufwendig, aber danach leicht zu bearbeiten und an den Klickzahlen könne man ablesen, dass das neue Format auch bei den Lesern gut ankommt.

Gleich aufgebaut wie die „News“ ist der Newsblog, der sich besonders bei Ereignissen mit ungewissem Ausgang anbietet. „Was als Newsblog und was als News erscheint, ist bei uns eher Bauchgefühl, aber meist ist es so, dass wir einen Newsblog erstellen, wenn wir nicht wissen, wann Ereignisse abgeschlossen sind“, sagt Kruse. Auch wenn der Newsblog ständig erweitert werden kann, ist nach einem Tag Schluss: „Wir schließen immer in der Nacht mit einem Blog ab. Länger als einen Tag sollte man so etwas nicht laufen lassen, weil das ermüdet – auch die Redakteure.“ Gesammelt erscheinen die Blogs dann auf einer Newsblog-Seite, auf der man auch schmökern kann.

Nachhaltige Projekte mit Datenjournalismus schaffen

Ein weiterer Schwerpunkt der Onlineredaktion sind datenjournalistische Projekte. Kruse selbst hat zum Beispiel vor zwei Jahren den 3.500 Seiten starken Planfeststellungsbeschluss zur 3. Start-/Landebahn am Münchner Flughafen gewälzt und anhand der grafisch aufbereiteten Daten gezeigt, welche Folgen der Bau für die Umgebung hätte. Dazu gab es ein Umfragetool, mit dem nicht nur die Münchner – die sich auf Stadtebene an der Abstimmung beteiligen durften – über das Projekt abstimmen konnten, sondern die sz.de-Leser. Die votierten mehrheitlich für das Bauprojekt, bei der richtigen Abstimmung gab es dagegen mehr Nein- als Ja-Stimmen.

Eine sehr aufwendiges „Spiel“ der Redaktion war die Weiterentwicklung des bpb-Wahlomaten. Die sz-Onlineredaktion hat den Wahlomat auf kommunaler Ebene weiterentwickelt und an 12 Parteien (die zwei Rechtsextremen, die zur Kommunalwahl ebenfalls antraten, nahmen sie nicht rein – nach Frau Kruse mit einer nachvollziehbaren Begründung) einen Fragekatalog geschickt, der als Grundlage für den Wahlthesentest diente. „Da waren nicht nur seriöse Fragen dabei, sondern auch solche wie: Sind Sie schon einmal bei Rot über die Ampel gegangen?“ Die App sei ziemlich erfolgreich gewesen – „und die Wahlempfehlung stimmte zumindest für die Redaktionsmitglieder“.

Ganz neu ist ein Projekt, bei dem es um den alten Streit zwischen Autofahrer und Radfahrer geht: Der Gefahrenatlas Münchens soll mit der Beteiligung von Lesern Gefahrenzonen kennzeichnen und ständig weiterentwickelt werden. „Es gibt kaum andere Themen in München, die so sehr polarisieren wie Kita-Plätze und Auto- bzw. Radfahrer“, meint Kruse.

Neben der Entwicklung von neuen Formaten, die sich die Redaktion selbst ausdenkt, sei die nächste Baustelle, einen pointierteren Stil zu finden: „Wir wollen einen Stil entwickeln, womit man sz.de identifiziert, der sich von anderen Onlinebeiträgen abhebt.“ Ebenfalls in der Pipeline: Eine Paywall, die noch dieses Jahr kommen soll. „Wie sie konkret aussehen wird, kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen – aber es wird ein Kontingent an freien Artikeln geben und auch die News wird man weiterhin lesen können.“

Die Präsentation von Ressortleiterin Kruse finden Sie hier.

 

 

Die Presse gehört den Bürgern

Die Geheimwaffe der lokalpolitischen Berichterstattung ist der Bebauungsplan. Denn nicht die zerstrittenen Politiker interessieren die Leser, sondern die Veränderungen in der eigenen Stadt. Zu Gast beim Modellseminar Kommunalpolitik ist der mehrfach ausgezeichnete Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, Paul-Josef Raue, für den die Leserbefragung ein wichtiges Werkzeug für gutes Blattmachen ist.

Die Presse gehört nicht uns, nicht den Verlegern. Wir sind keine Untertanen des Landes, sondern einzig und allein den Bürgern verpflichtet“, sagt Raue voller Inbrunst – und das müsste den Bürgern auch vermittelt werden. Intensiv hat sich der Journalist und Sachbuchautor mit der Frage befasst, wie Leser ticken. Anhand von unterschiedlichen Artikeln zur Lokalpolitik präsentiert er die Ergebnisse von Leserbefragungen und lässt die Kollegen erst einmal raten, welcher Bericht am besten ankam. „Wir müssen informieren, kontrollieren, kommentieren. Ohne Einordnung fühlen sich die Leute verloren, ohne Recherche gibt es keinen Journalismus“, sagt Raue – eine Binsenweisheit, die mit der präsentierten Brise Praxis jedoch einiges an Input gibt.

Paul-Josef Raue, Chefredakteur Thüringer Allgemeine

Paul-Josef Raue, Chefredakteur Thüringer Allgemeine

Falscher Politikbegriff langweilt

Ein erstes Praxisbeispiel liefert der Flyer des Modellseminars Kommunalpolitik. Von einer Chronistenpflicht ist dort die Rede – jeweils mit dem Attribut „lästig“ im Unterton, meint Raue. Er glaubt, dass allein der Begriff Kommunalpolitik die Leute abschrecke, nicht weil das Thema für die Leser langweilig wäre, sondern weil wir einem falschen Politikbegriff anhängen würden: „Wir haben einen Politikbegriff, der sehr stark an der Tagesschau orientiert ist. Der politische Streit ist fast ein Synonym für Politik geworden. Wir wissen, dass die Leute das nicht wollen – es gibt eine Politik-, eine Parteiverdrossenheit. Politik aber wird auch dann spannend, wenn wir einfach nur über die Sache reden.“

Wie oft aber über die „Sache“ reden? Sind beispielsweise Themenkampagnen erlaubt? Ja, findet Raue: „Die Leute wollen gern eine Lösung haben, aber dieses Flatterhafte, dieses in der Schwebe halten, die Redaktion hakt nicht nach, ist nicht gut. Du musst an Themen dran bleiben!“

Geheimwaffe: Bebauungsplan

Die Redaktion Erfurter der Thüringer Allgemeinen hat dafür zum Beispiel eine Liste von Orten in der Stadt aufgestellt, die die Menschen kennen, an denen sie oft vorbei- oder hindurch gehen. „Das, was die Menschen kennen, ist das, was sie interessiert, deshalb kannst du jede kleine Veränderungen an solchen Orten beschreiben und das hat fast immer etwas mit Politik zu tun“, findet der Chefredakteur. Zur Recherchehilfe rät er sich Bebauungspläne genauer anzusehen. „Es gibt keinen Bebauungsplan, der uninteressant ist.“

Rausgehen, Rausgehen, Rausgehen

Das sei dann auch der klassische Stoff für die erste Lokalseite, denn dort müsse schließlich stehen, wonach sich die Leute richten können. Auch in anderen Geschichten, die in der Thüringer Allgemeinen gerne gelesen werden, geht es um die Nähe zu den Bürgern. Beispielsweise hat sich in letzter Zeit der Servicebereich der Zeitung verändert: „Eine Frau tut nichts anderes als den ganzen Tag durch die Stadt zu gehen, zu schauen, was in Erfurt passiert und beschreibt das.“ Es zahle sich wirklich aus, hier und da mal das Telefon stehen zu lassen und rauszugehen.

Vom „erweiterten Politikbegriff“ kommt Paul-Josef Raue aber immer wieder auch auf den Kern: Die Wahlberichterstattung – und bei der ist er der Meinung, dass „es nichts gibt, was die Leser mehr interessiert als eine Wahl“. Redaktionen sollten deshalb diesen „Quotenbringer“ ausnutzen.

Die Präsentation von Chefredakteur Raue finden Sie hier.

OB von Köln will Ombudsmann werden

Ein Kamingespräch ohne Feuer, aber feurig sollte es zugehen: „Hassliebe: Vom Verhältnis zwischen Lokalpolitikern und Journalisten“ ist das Motto des Streit-Gesprächs, bei dem sich Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) den Fragen des Chefredakteurs des Nordbayerischen Kuriers, Joachim Braun, stellt. „Wir sind nicht für Friede, Freude, Eierkuchen hier“, sagt Braun und fragt auch so.

Sein Gegenüber reagiert anfangs noch etwas zaghaft, holt sich seine Lacher bei Geschichten, die ihn als OB bei Ausrutschern zeigten – etwa als er – aus Westfalen kommend – beim Karneval ein paar Sätze auf Kölsch versuchte zu sprechen. „Das war kein angenehmer Moment, als ich am nächsten Tag die Zeitung aufschlug.“

Hass oder Liebe – wie steht der OB zu den Journalisten? Eher Liebe. Das sagt Roters zwar nicht, macht jedoch deutlich, wie wichtig Journalisten, wie wichtig ihm die Medienvielfalt ist. „Wenn der Kölner-Stadtanzeiger irgendwo hinein pickt und der WDR darüber anders berichtet, dann ist das nur gut“, meint Roters. Ein Medium hingegen sei eine große Gefahr, weil man schnell abhängig vom Mainstream werden würde. „Sie fahren im Aufzug mit uns rauf und wieder runter“, übersetzt Braun.

OB Jürgen Roters und der Chefredakteur des Nordbayerischen Kuriers Joachim Braun.

OB Jürgen Roters und der Chefredakteur des Nordbayerischen Kuriers Joachim Braun

Journalisten sind keine Ersatzparlamentarier

Der OB spart jedoch nicht mit Kritik. Eine Reportage der Süddeutschen Zeitung über den Jahrestag des Archiv-Einsturzes hat den langjährigen SZ-Leser seine Liebe zu der Zeitung erkalten lassen: „Der Mann hat falsch berichtet und Köln in ein schlechtes Licht gerückt. Der hätte mich doch mal anrufen sollen, dann hätte ich ihm ein paar Sachen erklärt“, sagt Roters. Auch verstimmt den OB die vielen Forderungen der Journalisten – wenn etwa wieder einmal über kaputte oder zugemüllte Straßen, oder neue Bauprojekte berichtet wird. „Journalisten sollen kontrollieren, begleiten, übersetzen. Sie sind aber nicht die Ersatzparlamentarier in einer lebendigen Demokratie.“ „Journalisten können nicht mitgestalten, aber initiieren“, hält der Chefredakteur dagegen. Doch Roters bleibt dabei: Gehe es nach den Journalisten, bräuchte man monatlich 250 Millionen Euro allein in seiner Stadt, um die Missstände zu beheben – es sei immer leichter etwas zu fordern, wenn man nichts erfüllen müsse. „Am schlimmsten ist es aber, wenn Redakteure ihre eigene Agenda verfolgen, wenn etwa das eigene Kind keinen Kita-Platz bekommt und dann schreibt der einen Artikel über Kita-Plätze.“ Es sei ein System der Maßlosigkeit, doch als Politiker müsse man Schwerpunkte setzen.

So viel Öffentlichkeit wie möglich

Diese Schwerpunkte müssen gut durchdacht sein, kommt es in Roters Aussagen immer wieder raus. „So viel Öffentlichkeit wie möglich, so viel Nicht-Öffentlichkeit wie nötig?“, fragt Braun. Roters sei für so viel Transparenz wie möglich. Sonst komme das nur negativ rüber, so als ob etwas verheimlicht werden würde. Die Transparenz war vermutlich auch eine Begründung als kleinere Parteien in Köln die Live-Übertragung von Stadtratssitzungen forderten und diese auch durchsetzten. „Wenn man wirklich große Schwierigkeiten einzuschlafen hat, sollte man das nützen“, meint Roters und erntet Gelächter. Kurz darauf ist er aber wieder ernst und spricht davon, wie die fünf Abgeordneten von Pro NRW die Live-Übertragungen als Propagandainstrument benutzen. Nicht nur der OB wurde für seinen Umgang mit den Rechtsextremen gelobt, er lobt auch die Kölner Medien, die den Pro NRW Leuten keine Bühne bieten. „Der Umgang mit Rechtsextremen ist wirklich eine Gratwanderung. Bei antisemitischen und rassistischen Äußerungen muss man hart durchgreifen, wenn es jedoch um einen Meinungskampf geht, ist das etwas anderes.“

OB

Die haben gesagt, dass…

…er kein großartiger OB ist, sondern nur ein Verwalter.
„Großartig kann ich nicht beurteilen, aber das andere ist absolut falsch. Ich glaube schon, dass es mir gelingt, bei den Menschen ein Gefühl zu vermitteln, dass sie diesem OB vertrauen können.“

…er ist nicht konfliktfähig, kann aber mit Kritik umgehen.
„Das ist eine Frage der Selbstsicherheit, die man erst in einem Amt gewinnen muss. Man braucht eine Legislaturperiode um die richtige Konfliktfähigkeit erworben zu haben. Mit Kritik umzugehen, ist für mich kein Problem.“

…als ursprünglich staubtrockener Westfale tut er sich hier schwer.
„Von meinem Gefühl im Herzen bin ich ein richtiger Kölscher. Es ist für mich eine wahre Freude auch bei der 50. Karnevalssitzung noch vergnüglich dabei zu sein.“

Ganz kurz jedoch gelingt es Joachim Braun den aalglatten Politiker aus der Reserve zu locken – und zwar als es um die Frage ging, ob er Journalisten auf Berichterstattung, die dem OB nicht passt, anspricht oder nicht. Die Frage der Ethik im Journalismus beschäftigt Roters offensichtlich – nach fast zwei Stunden meint er, dass es ihm eine große Freude bereiten würde nach Ablauf seiner Amtszeit als Ombudsmann zur Verfügung zu stehen. Vielleicht finden der geliebt-gehasste Kölner-Stadtanzeiger und Röters am Ende doch noch zusammen.

Der Tretmühle entkommen

Lokaltrott vermeiden, -politiker aus der Reserve locken, neue Recherchewege erschließen und Input aus allen Himmelsrichtungen bekommen: Das sind nur ein paar wenige Ansprüche, die 35 Lokaljournalistinnen und -journalisten von Heide ganz im Norden über Mühlhausen bis nach Bad Tölz im Süden Deutschlands haben. Sie trafen einander heute Nachmittag zum Auftakt des Modellseminars „Und ewig grüßt der Landrat – Wie Redaktionen der lokalpolitischen Tristesse entkommen“ in der Theodor-Heuss-Akademie im beschaulichen Gummersbach.

Das aktuelle Progamm gibt es hier: Programm: Und ewig grüßt der Landrat

Theodor-Heuss-Akademie

Theodor-Heuss-Akademie

Nach einer enthusiastischen Eröffnungsrede des Akademieleiters Klaus Füßmann – „Sie stellen Öffentlichkeit her – das ist großartig“ – ging es schon weiter mit der Vorstellungsrunde. Die Paare fanden über (lokal/sozial)politische Stichworte wie etwa „Hartz“ – „IV“, „Steinbrück“ – „Stinkefinger“ oder „Kölsch“ und „Klüngel“ zusammen, die für so manches Gelächter sorgten.

vorstellungen in halle

Neben der Erweiterung des geografischen Spektrums wurde eines schnell klar: Zu viele leere Seiten mit zu wenig Mitarbeitern zu füllen, tut keiner Zeitung gut, oder wie es ein Redakteur ausdrückte: „Ich liebe meinen Beruf, aber meinen Job finde ich manchmal ganz schrecklich.“ Diverse Gegenmittelchen, um dem Alltagstrott und im schlimmsten Fall der Hochberichterstattung zu entkommen, wollen die Teilnehmer diese Woche aufspüren und weiterentwickeln.

Spannend geht es gleich heute Abend weiter: Im Gespräch mit Jürgen Roters, Oberbürgermeister der Stadt Köln, spürt der Chefredakteur des Nordbayerischen Kuriers Joachim Braun der alten Hassliebe zwischen Lokalpolitikern und Journalisten nach.

Modellseminar: Lokalpolitik

Rechtsextremismus im Lokaljournalismus: „Wer hart im Milieu arbeitet, ist gefährdet, beweist Mut und verdient Anerkennung“

Berthold L. Flöper leitet das Lokaljournalistenprogramm der bpb.

Berthold L. Flöper leitet das Lokaljournalistenprogramm der bpb.

Rechtsextremes Gedankengut ist kein Randphänomen, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das zeigen aktuelle Studien wie „Die Mitte im Umbruch“ der Friedrich Ebert Stiftung und das bestätigen auch die jüngsten Wahlergebnisse zum Europaparlament. Für Journalisten stellt sich zunehmend die Frage, wie sie journalistisch korrekt mit rechtsextremem Gedankengut und demokratisch gewählten Vertretern rechtsextremer Parteien umgehen sollen.

Einige Antworten gab es auf der Redaktionskonferenz „Recherche Rechtsextremismus“ der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb Ende Mai in München. Die bpb legt seit langem einen besonderen Schwerpunkt auf die Aufklärung über und den Umgang mit Rechtsextremismus. Eine Berichterstattung über diesen Themenkomplex bringt Chancen und auch Gefahren mit sich, vor allem für die Lokalpresse. Die Redaktionskonferenzen der bpb werden daher, auch zu anderen Themen, immer für Lokaljournalisten und mit Lokaljournalisten organisiert.

„Sorgfalt in der Berichterstattung über Rechtsextremismus und vor allem ein kontinuierlicher Umgang mit dem Thema sind die Grundlage für guten Journalismus“, meint Berthold. L. Flöper. Der Leiter des Lokaljournalistenprogramms der bpb erinnerte zu Beginn der Konferenz daran, dass nicht nur die Sicherheitsbehörden, sondern auch der Journalismus allen Grund gehabt habe sich zu fragen, warum in der Branche die rechtsextremistisch motivierten Morde der NSU anfangs als „Döner-Morde“ abgetan wurden.

„Um solche Fehler nicht zu wiederholen, brauchen wir eine gut informierte, kritische ‚Vierte Gewalt‘. Besonders lokale Medien sind zentral bei der Aufklärung, als Frühwarnsystem und als distanzierte Berichterstatter der Szene wichtig, denn sie sind ‚nah dran‘, kennen Rechtsradikale wie Opfer oft persönlich“, sagte Flöper. Sie hätten es oft schwerer als Kollegen überregionaler Medien, die lediglich für eine „Geschichte“ in den jeweiligen Ort kommen und nach Ende ihrer Recherche wieder abreisen können. „Wer hart im Milieu arbeitet, ist gefährdet, beweist Mut und verdient Anerkennung“, so Flöper. Diese Risiken seien aber auch gleichzeitig Chancen, weil nur Lokaljournalistinnen und Lokaljournalisten einen Einblick haben, der tief genug ist, um subtile Veränderungen wahrnehmen zu können. Sie kennen den Sportverein, den NPD-Kader, den Neonazi von nebenan, möglicherweise seit Jahrzehnten. Und sie stehen mit ihren Lesern, Zuhörern und Zuschauern im kontinuierlichen Dialog.

Drei Tage lang hörten die Lokaljournalisten aus Print-, Radio- und Onlineredaktionen Vorträge von ausgewiesenen Experten zum Thema Rechtsextremismus. In drei Arbeitsgruppen wurden Konzepte erarbeitet, wie man über Rechtsradikale berichtet. ohne ihnen eine Bühne zu geben oder wie man im Internet seine Daten verschlüsselt, um nicht von Nazis entdeckt und diffamiert zu werden. Besonders wichtig war den Teilnehmern der gegenseitige Erfahrungsaustausch und die Möglichkeit zur Vernetzung, um sich in Zukunft gegenseitig zu unterstützen.

Kurzinterview mit… Jana Klameth, stellvertretende Chefredakteurin der Freien Presse Chemnitz

Jana-Klameth-1Frau Klameth, Sie sind seit 27 Jahren Journalistin in Sachsen – können Sie sich noch an ihre erste Geschichte im rechtsextremistischen Milieu erinnern?

Das muss in den 90er Jahren gewesen sein, als darüber gesprochen wurde, die SSS (Anmerkung: Skinheads Sächsische Schweiz) zu verbieten. Wir waren damals in der Redaktion unsicher, wie wir mit Rechtsextremismus umgehen sollten und mussten uns erst an das Thema herantasten. Einmal sind wir so richtig auf die Nase gefallen, als wir ein Streitgespräch zwischen einem Neo-Nazi und einem Gegner abdruckten. Das hat schlicht nicht funktioniert. Seitdem haben wir nie wieder ein Wortlaut-Interview veröffentlicht.

Sprechen Sie denn mit denen?

Natürlich, aber die Wortlaut-Zitate werden immer eingeordnet, damit man Zusammenhänge klar machen kann. 2005 habe ich einen Artikel über ein Treffen mit den Jungen Nationaldemokraten veröffentlicht, in dem ich die Situation beschrieben habe, dass nur der Vorsitzende reden durfte. Die Jugendlichen, die anwesend waren, hatten Redeverbot. Das sagt schon viel aus.

Sie sind stellvertretende Chefredakteurin von 19 Lokalzeitungen. Haben Sie Leitlinien für die Berichterstattung über Rechtsextreme?

Es gibt nichts Schriftliches, aber schon Grundsätzliches: Über Rechtsradikale berichten wir analytisch, die NPD behandeln wir nicht wie andere demokratische Parteien – wir nennen zum Beispiel zwar die Kandidaten mit Namen, stellen ihr Programm aber nicht vor. Aber natürlich ist bei uns das Thema NPD permanent aktuell, weil die ja im Landtag sitzen und sehr kommunikativ sind und wenn das Thema auf der Agenda ist, muss man es natürlich anfassen. Wir haben jedoch die Regel, dass es für Themen zu Rechtsextremismus einen publizistischen Anlass geben muss. Es muss also für den Leser nachvollziehbar sein, warum wir gerade heute das Thema im Blatt haben.

Das Redaktionsgebäude der Lausitzer Rundschau wurde nach der kritischen Berichterstattung über Nazis beschmiert, Redakteure wurden bedroht. Gab es derartige Vorfälle bei der Freien Presse auch schon?

Wir haben im Mantel einen Kollegen, der sich schwerpunktmäßig mit dem Thema beschäftigt. Körperlich angegriffen wurde er noch nie, aber im Netz hat man schon versucht ihn einzuschüchtern. Wir haben eher die Erfahrung gemacht, dass Rechtsradikale gegenüber Journalisten zurückhaltend sind.

Kurzinterview mit…. Robert Kiesel, Innenpolitik-Redakteur beim Nordkurier und Landesmedienpreisträger 2013 von Mecklenburg-Vorpommern

Robert-Kiesel-1Herr Kiesel, seit wann recherchieren Sie zur rechtsextremen Szene?

Ich habe mich schon während meines Politikstudiums in Berlin mit den Themen ausgehend vom Nationalsozialismus bis hin zu Rechtsextremismus beschäftigt und war oft auf Demonstrationen gegen Nazis unterwegs.

Schon mal Angst gehabt?

Ja, ich hatte eine beängstigende Situation letztes Jahr in Magdeburg, wo die ganze Stadt wegen eines Naziaufmarsches im Ausnahmezustand war. Ich wollte darüber berichten, wie die Stadtbewohner damit umgehen und wie sich das für sie anfühlt. Bei der Rückfahrt bin ich dann in einen Zug gestiegen, in dem 50 Nazis in einem Triebwagen saßen. Es gab keinerlei Polizeibegleitung und die waren auf Provokation aus. Da rutschte mir schon das Herz in die Hose, aber zum Glück hat mich keiner von der Demo erkannt.

Im vergangenen Jahr bekamen Sie den Landesmedienpreis von Mecklenburg-Vorpommern für Ihr journalistisches Engagement gegen Rechtsextremismus. Wahrscheinlich sind Sie jetzt der Nazi-Beauftragte der Redaktion?

So kann man das nicht sagen. Ich bin kein Spezialreporter, sondern arbeite im Ressort für Landespolitik, worüber ich auch sehr froh bin. Ich könnte nicht die ganze Zeit nur Nazi-Geschichten machen. Wenn also neben meiner regulären Arbeit noch Zeit bleibt, recherchiere ich zum Rechtsextremismus. Ich fände es aber sehr wichtig in unserem Verbreitungsgebiet einen Redakteur zu haben, der sich ausschließlich mit dem Thema befasst, weil man das nicht einfach nebenbei machen kann. Es gibt ja im Lokalen das Problem, dass man wegen mangelnder Aufklärung die Problematik oft nicht sieht.

Inwiefern?

Ich bin für mein Volontariat von Berlin nach Mecklenburg-Vorpommern gezogen. Plötzlich sollte das jährlich stattfindende Pressefest der „Deutschen Stimme“ in der Region steigen. Ich habe darauf gedrängt, doch etwas darüber zu machen. Schließlich kamen in den vergangenen Jahren stets mehrere Tausend Nazis zu diesem Fest. Mir war bewusst, dass alle großen Medien da sein und mit dem Finger auf unsere Region zeigen werden. Ich hatte den Rückhalt der Redaktion und wir haben den Leuten dann von Anfang an erklärt, was sich da entwickelt. Mit „wir“ meine ich nicht nur den Nordkurier, sondern auch das Ordnungsamt, die Polizei… Am Ende waren dann trotzdem 1000 Nazis da, aber viel mehr Leute auf den Straßen, die das eben nicht haben wollten.

Klingt nach einem großen Erfolg. Wir organisieren Sie Ihre Recherche in dem Themenbereich eigentlich?

Es ist eine Mischung aus selbst gucken – im Netz, im Gespräch mit bestimmten Leuten und Behörden – und auf Hinweise aus anderen Lokalredaktionen zu hoffen. Mittlerweile arbeiten wir aber medienübergreifend zusammen. Das passiert dann nicht offiziell über die Häuser, sondern auf einer persönlichen Ebene.