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Diskussion: Pressefreiheit und öffentliche Aufgabe ─ Welchen Journalismus verlangt die demokratische und digitale Gesellschaft?

SchlusspodiumSven Gösmann, dpa-Chefredakteur, greift die letzten Worte des Impulsreferats der SZ-Redakteurin Annette Ramelsberger auf: „Erstmal kapieren dann kommentieren, denn Journalismus ist schließlich mehr als ein Newsroom.“ Es gehe immer noch darum, anzurufen, hinzufahren, Journalisten dazu in die Lage versetzen. Denn die Ideenkrise sei ein Teil der ökonomischen Krise des deutschen Journalismus.

Es diskutieren:
Annette Ramelsberger, Gerichtsreporterin Süddeutsche Zeitung, München
Markus Beckedahl, Journalist und Blogger, Gründer von netzpolitik.org, Berlin
Bernhard Boll, Verleger Solinger Tageblatt und Rechmscheider General-Anzeiger, Solingen
Sven Gösmann, Chefredakteur Detusche Presse-Agentur, Berlin
Matthias Koch, Chefredakteur Redakteionsnetzwerk Deutschland, Verlagsgruppe Madsack, Hannover

Verleger Bernhard Boll des Solinger Tagblatts erzählt von der Integrität seiner Tageszeitung, wie beispielsweise seine Redakteure drauf gekommen sind – 14 Tage vor der Kommunalwahl – dass der Bürgermeister einen Schwarzbau hat. Trotz Intervention sei der Artikel noch vor der Wahl erschienen. Der Gründer von netzpolitik.org findet, es ist eine spannende Frage, ob durch PayWalls Skandalisierungen eingedämmt werden.

Was kann die dpa tun, um den Medien zu helfen Qualität zu gewährleisten, fragt Lauff im Anschluss. Gösmann erläutert den Grundgedanken der dpa – eine Gemeinschaftsredaktionen für alle Medien zu sein und dadurch Ressourcen für Recherchen vor Ort zu fördern. „Wir sind auch ein Wissensort, durch die ökonomischen Zwänge der Zeitungen sind unsere Aufgaben breiter geworden.“

Uneinig auf dem Podium war man sich vor allem beim Thema „Einmischung der Politik“. Während   SZ-Redakteurin Ramelsberger in Hinblick auf die Tarifverhandlungen beispielsweise der Meinung ist, dass Journalisten keine Ausnahmetatbestände fordern sollten,  „sondern wir die Leute überzeugen sollten, dass sie Geld bezahlen für gute Ware“, denkt Beckedahl über eine Art Fördertopf für neue Medien nach. „Crowdfunding funktioniert vielleicht für ein paar Journalisten, aber nicht für alle.“ Verleger Boll hingegen bekomme bei der Vorstellung von staatlicher Unterstützung Pickel und auch Ramelsberger halte nichts davon, auf die Politik zu warten.

An das knüpft auch Moderator Werner Lauff in seinem Schlusswort an: „Ja, wir sollten nicht so sehr auf den Staat hoffen, aber der Staat muss Pressefreiheit gewährleisten. Er muss – wann immer Menschen beim Publizieren eingeschränkt werden – aktiv werden.“ Pressefreiheit müsse auf der anderen Seite aber immer wieder auch mit neuen Ideen und Qualität unterfüttert werden, „denn Pressefreiheit ist ein Privileg, das wir nicht verspielen dürfen“.

„Der Platz der Journalisten ist zwischen den Stühlen“ ─ auch, wenn es unbequem ist

Ramelsberger„Die Besucherbühne ist voll wie beim ersten Tag, es gibt Beschwerden über die Reisekosten, viele Journalisten schlafen dann bei  Freunden auf Schlafsofas“. Annette Ramelsberger ist Gerichtsreporterin bei der Süddeutschen Zeitung. Sie begleitet den NSU Prozess und sagt, dass man viel von ihm lernen kann. „Die Medien machen hier sehr viel richtig, sie bleiben dran, setzen Prioritäten, kümmern sich um die Opfer, stellen den Prozess dar“. Ihre sechs Thesen für einen guten Journalismus, der seinem Wächteramt gerecht wird. Weiterlesen

Journalisten am Gängelband? Einflussnahme von außen auf die journalistische Arbeit

Diskussionsrunde„Print ist unverzichtbar“ – mit diesem Satz leitet Moderator Werner Lauff das erste Panel am Nachmittag ein. Soeben bekam das Publikum Einblick in die Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach von Leiterin Köcher. Zwei Aspekte stellte Lauff heraus: Dass Einflussnahme stattfindet und je mehr sie stattfinde, desto leichter sei die Einflussnahme. Taz-Chefredakteurin Pohl spricht vom größten Feind in den Köpfen. Natürlich gebe es einen wirtschaftlichen Druck, aber die Angst vor den Leserinnen und Lesern sei mittlerweile um einiges präsenter als die plumpen Versuche der Einflussnahmen von Seiten der Geschäftsführer und Ministerpräsidenten.

Der Chefredakteur der Allgemeinen Zeitung in Mainz Freidrich Roeingh hält dagegen, dass im Regionalen und Lokalen die wirtschaftliche und politische Einflussnahme noch immer stark ist. Er spricht jedoch auch davon, dass seit Stuttgart 21 Bürgerinitativen immer stärker werden: „Sie sind oft sehr radikal mit ihren Haltungen, drohen mit Aboabbestellung, beschimpfen uns wir seien gekauft etc. Besonders jene Bürgerinitativen, die dagegen sind, haben ein hohes Maß an Professionalität.“

Neben Roeingh sitzt OB Boris Palmer aus Tübingen: „Die schärfste Waffe der Verwaltung ist immer noch das Nichtstun. Wenn sie Lokaljournalisten gängeln wollen, dann ist man einfach nicht da.“ So groß dürfte der Andrang jedoch nicht sein: „Unsere Pressestelle hat eine Studie gemacht, die zeigte, dass 95 % unserer Presseaussendungen unverändert übernommen wurden.“ Es könne nicht sein, dass wir die Lokalmedien verlieren, sagt Palmer. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei kein Löungsansatz, sagt Sitznachbar Roeingh aus Mainz: „Relevante und kritische Berichterstattung kommt von den Zeitungen.“

Taz-Chefredakteurin Pohl nimmt das Beispiel Palmers auf: „Was die Pressemitteilung im Lokalen sein mag, sind die Studien deutschlandweit. Studien finden einen leichten Weg in die Medien.“ Man müsse sich fragen, wer die Studien in Auftrag gebe, wie Kooperationen zustande kamen, auch solle man sich die Zeit nehmen, die ausführlichen Originale zu lesen.

Die Diskussion verlagert sich von der Einflussnahme hin zu ökonomischen Zwängen. „Wir müssen mehr über Kooperationen reden“, sagt Roeingh, „mir ist es wichtig, dass die Lokalredaktionen sich erhalten können und eng mit dem Mantel zusammen arbeiten.“ Palmer verweist nicht nur auf den ökonomischen Druck, sondern auch auf eine neue Konkurrenz, die beispielsweise durch soziale Medien zustande kommt: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leser sagen, dass ihre Facebook-Seite interessanter sind als das Tagblatt und man obendrein auch an die Informationen schneller komme. Dabei brauchen wir die Journalisten als Korrektiv!“ Auch Pohl spricht darüber, dass vor allem junge Menschen sich ihre Nachrichten unter anderem über ihre Facebook-Freunde holen. „Wir müssen über alternative Finanzierungsmodelle nachdenken“, sagt sie, „crowdfunding beispielsweise“. Um junge Leute zu erreichen müsse man massiv in die Qualität investieren, meint der Oberbürgermeister und fährt fort: „Das Zeitungssterben halte ich eine Bedrohung der Demokratie. Durch öffentliche Finanzierung müssen wir Kahlstellen verhindern.“

Über eine Publikumsfrage wird das Thema „Authorisierung von Interviews“ angesprochen, was Pohl zum Klagen veranlasst: „Heute sind alle Politiker so geschult, die Kommentare windelweich, es ist so wenig kantig und fassbar, das macht Politikberichterstattung oft auch langweilig. Es ist wirklich schwierig den Interviewpartner zu konfrontieren und das dann auch so durch die Presseabteilung zu bringen – die Presseabteilung legt jedes Wort auf die Goldwaage.“ Pohl will auch die Politik in der Verantwortung sehen. Der Oberbürgermeister dazu: „Mir ist schon mal passiert, dass mir eine Tageszeitung sagte: „Stellen Sie sich die Fragen selber, schreiben Sie die Antworten dazu und wir drucken es.

Laufs Abschlussfrage für die Panelteilnehmer: Das wichtigste, um den Journalismus zu stärken?
Köcher: „Qualitätssicherung für Journalismus als zentrale Aufgabe und ein wirtschaftliches Fundament“
Palmer: „Es wäre ganz wichtig, so etwas wie Google für politische Grundversorgung zu haben“
Roeingh: Ist gegen die „Googlefalle“ – „Der Lösungsansatz liegt für mich darin, in der sehr zerstückelten Presselandschaft mehr auf Kooperation zu setzen und Bezahlinhalte zu etablieren.“
Pohl: „ Medienkompetenz in der nachwachsenden Generation zu fördern.“

Studienvorstellung: „Pressefreiheit in Deutschland. Einflussnahmen von außen auf die journalistische Arbeit“

Prof. Dr.Köcher in der Diskussion„Die überwältigende Mehrheit stuft die Pressefreiheit als gut oder sehr gut verwirklicht ein“, beginnt Prof. Dr. Renate Köcher, Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD), die Vorstellung der neuen IfD-Studie. Dann ist ja alles klar. Oder? Nein, so einfach ist es nicht. Wenn man genauer nachfragt kommt ans Tageslicht: Journalisten fühlen sich massiv unter Druck gesetzt. Vor allem von der wirtschaftlichen Situation, Zeitmangel, PR und digitaler Schnelligkeit.

Die Zusammenfassung der Studienergebnisse können Sie hier herunterladen: IfD_Einflussnahme auf Presse_Summary_3.6.

In der IfD-Studie „Pressefreiheit in Deutschland: Einflussnahmen von außen auf die journalistische Arbeit“ im Auftrag der Stiftervereinigung der Presse standen Lokal-, Wirtschafts-und Politikjournalistinnen und -journalisten im Mittelpunkt. Beziehungsweise: Ihre Wahrnehmung der Dinge. Wie frei ist die Presse in Deutschland wirklich? Fühlen sie sich am Gängelband gehalten? Die große Mehrheit der Journalisten habe Einflussversuche erlebt, besonders Lokaljournalisten – und da wiederum oft in den Bereichen Sport und Musik. Der Zugang zu bestimmten Akteuren würde immer stärker eingeschränkt und häufig nur über PR-Agenturen möglich gemacht. Informationen würden bewusst gelenkt und kanalisiert, die freie Berichterstattung erschwert. Es wurde auch frustrierenden Erfahrungen berichtet, die es „wohl immer geben wird“, so Köcher: Anfragen, die nicht hinreichend oder gar nicht beantworter werden, haben knapp 70% ab und zu oder häufiger erlebt. Antworten, die vor der Autorisierung eines Interviews stark verändert würden. Vor allem Unternehmen seien sehr an einer gewissen Selbstdarstellung und folglich Informationssteuerung interessiert – und würden versuchen, Recherche zu behindern oder in eine gewisse Richtung zu lenken. Aber auch das Geschäft mit dem Journalismus sei keine Seltenheit: „Jedem Fünften wurden Informationen im Gegenzug dazu angeboten, eine bestimmte Bewertung vorzunehmen.“ Ebenso Geschäfte und Unternehmen vor Ort, die viel zu verlieren haben, aber durch Öffentlichkeit auch viel gewinnen können, würden versuchen, Einfluss auf die lokaljournalistische Arbeit zu nehmen. Also: PR-Maßnahmen gehören für viele zu den alltäglichen Einflussversuchen.

Vor allem aber – und das hebt Köcher immer wieder hervor – sei jedoch der wirtschaftliche Druck ein Thema der Pressefreiheit. Speziell für den Lokaljournalismus. Die finanzielle Basis der Verlage würde als unzureichend wahrgenommen, und die Auswirkungen auf den Arbeitsalltag als gravierend. Die große Mehrheit der Lokaljournalisten habe das bereits erfahren. „Das größte aktuelle Risiko aus der Sicht der Journalisten ist die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage der Branche und auch der Zeitmangel“. Dies hänge häufig zusammen, sagt Köcher, und verweist auf zusammenschrumpfende Redaktionen. An zweiter Stelle bei der Frage nach den Gefährdungen der Pressefreiheit, hinter dem Zeitmangel, nennen die Journalisten, dass sie auf die wirtschaftlichen Interessen ihres Hauses Rücksicht nehmen müssen. Und die verschwindende Zeitungsvielfalt. Köcher stellt die These auf, dass die wirtschaftliche und zeitliche Druck andere Beeinflussungsversuche in der Wahrnehmung der Journalisten verstärken würde. Wer weniger Zeit, Kapazitäten und mehr Druck hat, hat auch weniger Zeit zum Nachfragen, reagiert empfindlicher auf PR. Annähernd 80% zogen die Bilanz, dass die Grenzen zwischen PR und Journalismus verschwimmen. Das wirke aber wiederum negativ auf die Journalisten zurück: Viele hätten Hemmungen, positiv über Unternehmen zu berichten, weil sie Angst haben, als PR-anfällig verdächtigt zu werden. Aber: „Versuche, die öffentliche Berichterstattung zu beeinflussen wird es immer geben, dafür ist sie einfach zu wichtig.“

Die Beschränkungen der Freiheit der Berichterstattung hätten in den letzten Jahren nach dem Eindruck vieler Journalisten eher zugenommen. Was kommt häufiger vor, was kommt seltener vor? Überraschend ist hier der Punkt, der wohl zurückgegangen wäre: Dass man durch Begünstigungen versucht, eine wohlwollende Berichterstattung zu bewirken. „Man sieht, dass die Compliance-Regelungen der deutschen Wirtschaft rigoros gehandhabt werden“, kommentiert Köcher.

Online-Medien machten auch einen großen Teil der Studie aus. Viele Journalisten befürchteten Ausspähung. Zudem würden die digitalen Möglichkeiten auch den Zeitdruck erhöhen. Aber wer schnell publizieren und alles auf alle Kanäle pusten muss, hat wenig Zeit zum Nachrecherchieren. „Eine wichtige Frage wird sein, ob man den gründlichen Journalismus in Zukunft verteidigen kann“, sagt Köcher.

Soziale Medien seien Chance und Herausforderung zugleich: Interessengruppen nutzen Soziale Medien zum Lancieren bestimmter Themen in der Öffentlichkeit. „Klassische Print und- Funkmedien schwächeln beim öffentlichen Agendasetting.“ Umgekehrt würden soziale Medien häufig für die Recherche genutzt – manchmal aber auch überbewertet. „Die Bewertung von Twitter ist immer größer als die faktische Nutzung“, sagt Köcher, und verweist auf Zahlen im knapp zweistelligen Bereich. Auch Cybermobbing sei heute ein Thema für Journalisten. „Das Feedback im Netz, das Journalisten heute haben, macht ihnen teilweise Angst. Die Tonalität in einem Shitstorm hat mit guter Kinderstube nichts mehr zu tun“, sagt Köcher.

Besonders spannend findet Köcher folgende Aussage eines Journalisten: „Zur Zeit findet eine Renaissance der Printmedien statt, sie werden neu anerkannt, als seriöser empfunden“, lautet dieses. Ein realistisches Szenario? „Ich glaube, dass es zu einem solchen Prozess kommen kann, aber bis dahin haben wir noch einen langen Weg vor uns“, sagt Köcher.

„42% denken, dass Journalisten heute stärker als früher gezwungen seien, wirtschaftliche Einschränkungen hinzunehmen“. Das Fazit für viele sei: Die wirtschaftliche Situation zwingt zu Kompromissen. Eine fatalistische Haltung. Was kann man denn tun, um die Pressefreiheit zu verteidigen? Wirtschaftliche Unabhängigkeit sicherstellen, aber auch: Mehr Souveränität und Selbstbewusstsein der Journalisten. Pressefreiheit und Qualitätsjournalismus hängen eng zusammen. Köcher hat Hoffnung für den Printjournalismus, betont seine Wichtigkeit, und sieht auch den Staat in der Verantwortung, ihn wie Funkmedien zu „sichern und alimentieren“.

Ihre These: Print ist unverzichtbar.

Wie frei ist die Presse in Deutschland? Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Diskussion_Zwischen Anspruch und WirklichkeitNach dem Impulsvortrag vom ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, eröffnet Moderator Werner Lauff mit der Frage an Justizminister Heiko Maas, ob denn aus grundrechtsorientierter Sicht alles in Ordnung sei? Ja, findet Maas und spricht danach das Urteil des EuGH an bezüglich der Vorratsdatenspeicherung an. Die Linie des Justizministeriums sei klar: Es ist für einen restriktiven Umgang mit dem Gesetz, aber wie es nun weitergehe, wird sich erst zeigen. „Ich bin gespannt, wie die neue Kommission und dann die Mitgliedsländer mit dem Urteil umgehen werden.“

Das zweite Thema, das angesprochen wurde, ist die Beschlagnahmung, die Ausspähung, die Onlinedurchsuchung. Herr Stennei, wie beobachten Sie das, fragt Moderator Lauff den Vorsitzenden des Trägervereins Deutscher Presserat. „Das sind sensible Bereiche, bei denen man aufpassen muss, dass die Verhältnismäßigkeit gewährt ist – da ist in den letzten Jahren einiges durcheinander geraten.“ Stennei weist darauf hin, dass zwar die großen Redaktionsstuben Pressefreiheit genießen, dass kleine, freie Pressebüros, die nicht unter Verlagsschutz stehen, aber gesetzlich außen vor stehen. „Wir brauchen eine unaufgeregte Diskussion darüber, aber auch über redaktionelle Standards und einen bundeseinheitlichen Presseausweis, der für gewisse Qualitätsstandards steht.“

Deutschland steht auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 14 von 180 Ländern. Warum „nur“ auf Platz 14, das erläutert das Vorstandsmitglied von ROG Astrid Frohloff: „In unserem Ranking sehen wir uns die Veränderungen zum Vorjahr an, wir sehen uns die gesetzlichen Rahmenbedingungen an und das, was tatsächlich umgesetzt wurde. Hier gibt es eine Diskrepanz: Es wurden auch in Deutschland Redaktionsräume durchsucht, Recherchematerial beschlagnahmt – was sehr gefährlich und heikel für Journalisten ist, schließlich brauchen sie ja auch das Vertrauen von Informanten.“ Auch hätten fünf Bundesländer noch immer nicht das Informationsfreiheitsgesetz festgeschrieben und die Vielfalt der Presse gehe zurück. Und was machen die anderen Länder besser? „Die skandinavischen Länder haben sehr liberale Gesetzgebungen, die auch Informantenschutz beinhalten, was sehr wichtig für investigativen Journalismus ist und Finnland hat beispielsweise ein verbrieftes Recht auf Breitbandzugang – also Zugang zu Information.“

Frohloff und Maas sind sich einig, dass die Definitionen im Bestandsdatengesetz unklar sind und auf juristischer Seite Klärungsbedarf bestehe. Stennei spricht die Edathy-Affäre und die darauffolgende Gesetzesinitiative an: „Man muss aufpassen, dass die Rahmenbedingungen, die uns die Politik schafft, nicht verwässert werden.“ Justizminister Maas hält dagegen: „Politik verwässert nicht, sondern im Gegenteil. Das Thema Edathy und das Gesetz, dass da angesprochen wurde, hat mit Edathy wenig zu tun, sondern mit Cybermobbing, da die Anzahl von Jugendlichen, die Suizid wegen Cybermobbing begehen, ständig wächst.“ Maas führt weiter aus, dass die Pressefreiheit von dem Gesetz nicht eingeschränkt werde, da ja mit dem Begriff „unbefungt hergestellt“ – ein Terminus der in dem Gesetz vorkommt – nicht die Presse betroffen ist, da sie ja nichts „unbefugt herstellt.“

„Bei Eingriffen in die Pressefreiheit muss man einen Unterschied zwischen Eingriffen, die durch staatlicher Seite geschehen machen und solchen Eingriffen, die in Abwegung auf die Schutzwürde grundrechtlich bedrohter Dritter gemacht werden“, sagt Papier. Hier habe sich die Rechtssprechung in Bezug auf den Schutz der menschlichen Persönlichkeitsrechte positiv entwickelt.

Im Laufe der Diskussion kommt man auch beim NSA-Untersuchungsausschuss an, für den Reporter ohne Grenzen eine Begleitung von Medien fordert. „Die erste öffentliche Sitzung des NSA-Untersuchungsausschuss fand vor etwa 10 Tagen statt, am Morgen gab es einen großen Andrang, zu Mittag waren schon viele schon weg“, wirft Papier ein. Stennei hält dagegen: „Eine staatliche Stelle muss der Presse die Möglichkeit geben,so etwas mitverfolgen zu können, um dann später zu entscheiden, was relevant ist und was nicht.“ Applaus.

Zum Abschluss gibt Moderator Lauff folgenden Satz zum Beenden vor:

Um die Pressefreiheit zu sichern, sehe ich Handlungsmöglichkeiten in folgenden Bereichen…

Stennei: „Klare Definition für Qualititätsstandards für journalistisches Arbeiten und Ausbildung“
Prinz: „Ich teile die Auffassung, was die Ausbildung für Jungjournalisten angeht.“
Papier: „In Zeiten, in denen jederman/frau medienspezifisch tätig werden kann, wird die Presse als solche nur dann überlebensfähig sein, wenn sie durch spezifische redaktionelle Betreuung der Flut von Informationen Herr wird.“ Es gehe ihm also um Einordnung.
Maas: „Der wirtschaftliche Druck darf nicht dazu führen, dass Pressefreiheit eingeschränkt wird.“ Ein von Maas genannter Punkt, der ebenfalls Applaus erntete, ist jener, dass eine gute Bildungspolitik unabträglich ist, um beispielsweise Qualitätsjournalismus überhaupt erkennen zu können.
Frohloff: An die Medienhäuser: Es solle der Kostendruck und das wahnsinnige Tempo zurückgenommen werden, um Qualität im Journalismus gewährleisten zu können. An die Gesetzgeber: Sie sollen dafür sorgen, dass die Gesetze, die gemacht werden, auch eingehalten werden.

Pressefreiheit und Bundesverfassungsgericht: „Wir stehen in Deutschland relativ gut da“

Die DNA der Demokratie_PapierPressefreiheit? Hier würde der Gesetzgeber viel richtig machen. Aber die faktischen Voraussetzungen für ein vitales Pressewesen könne er sowieso nicht allein gewährleisten. Das meint zumindest Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, und er muss es wissen: Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgericht gibt zu Beginn der Podiumsdiskussion „Wie frei ist die Presse in Deutschland? Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ einen Impuls zum Thema und zeigt, wo man die Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis der Pressefreiheit finden kann.

Er beginnt mit der konstituierenden Funktion der freien Presse für unsere Demokratie. „Der Bürger muss sich umfassend informieren, vergleichen können.“ Presse diene als Verbindungs- und Kontrollorgan, auch in einer Zeit außerhalb des Wahlkampfes. Das könne nur von Presseunternehmen geleistet werden, die sich frei bilden können und zueinander in
Konkurrenz stehen. Alles klar soweit. Aber, so fährt wer fort: „Das Recht der Meinungsäußerung, ist nicht ohne Schranken.“ Und die finde die Pressefreiheit in den allgemeinen Gesetzen. Der Staat sei berechtigt und verpflichtet, die Freiheitsrechte zu gewährleisten.

Das Bundesverfassungsgericht habe jedoch, vor allem im Cicero Urteil, gezeigt, wie weit die Pressefreiheit tatsächlich auf diese Weise beschnitten darf. Und das sei „ziemlich pressefreiheitsfreundlich“, hielt Papier in drei Aussagen fest. Und die wären  – grob vekürzt, ohne Gewähr auf juristische Richtigkeit der Begriffe:

Erstens reiche die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses durch einen Journalisten reicht nicht aus, um Durchsuchung und Beschlagnahmung zu begründen. Stattdessen müsste ein „dringender Tatverdacht“ bestehen – was sich für den juristischen Laien so anhört, als wäre das ein ziemlich hartes Kriterium. Ein Super-Sonderfall.

Zweitens, und das wäre ein wichtige Rechtssprechung schon in Bezug auf dass Spiegelurteil gewesen: Verfassungsrechtlich seien solche Durchsuchungen unzulässig, wenn sie vor allem dazu dienen, einen Informanten zu ermitteln. Ein Schritt in Richtung Informantenschutz.

Drittens, eine für Papier „ganz wichtige“ Aussage: Zwar finde die Pressefreiheit ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen, aber nur dann, wenn sie gleich- und höherrangigen Schutzgütern dienen. Es gelte also eine Güterabwägung im Einzelfall. Damit richtete sich das Gericht, so Papier, implizit gegen den Wortlauf des Artikel 5 im Grundgesetz, der eine solche Abwägung nicht vorsieht. Dass die Ausübung der Meinungs- und Pressefreiheit teils mit Persönlichkeitsrechten korrelliert, liege laut Papier auf der Hand. Das Bundesverfassungsgericht stellte zunächst fest, dass die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat darstellen, sondern auch ganz maßgeblichen Einfluss haben auf die Privatsrechtsebene. Das zeige sich auch an der Rechtsprechung 2008 in den „Caroline-Fällen“:
Es wurde diskutiert, ob die ziemlich boulevardeske Berichterstattung über Caroline von Hannover zulässig bzw. schützenswert sei. Ja, sagte das Bundesverfassungsgericht. Aber: Es sei ein Anliegen des europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewesen,die eine strengere Sicht zugunsten des Persönlichkeitsschutzes hätten. Und das in jedem Einzelfall eine Abwägung vorzunehmen sei.  Je nachdem, ob eine Sachdebatte von allgemeinem Interesse vorliegt oder nicht. Persönliche Neugierde reiche nicht da nicht aus. Reiner Voyerismus ist keine schützenwerte Motivation.

Und was lernen wir daraus? Laut Papier drei Dinge:

Erstens: „Das Bundesverfassungsgericht nimmt die Einhaltung der Pressefreiheit sehr ernst“, und: „Die Pressefreiheit und Meinungsfreiheit stehen in Deutschland europaweit relativ gut da.“

Zweitens: Das Spannungsverghältnis zwischen Pressefreiheit und privaten, persönlichen Interessen sei „kompliziert“.

Drittens: Der Staat kann einige Rahmenbedingungen, aber nicht das Endergebnis schaffen. Das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit sei in erster Linie ein Freiheitsrecht, gerichtet gegen den Staat. Es gewährleiste aber auch die Institution der freien Presse und eine wertsetzende, objektive Bedeutung für unsere Demokratie. Daraus folge für den Gesetzgeber, dass er sich schützend vor die Pressefreiheit stellen müsste, sagt Papier. Zum Beispiel im Kartellrecht. „Aber die faktischen Voraussetzungen für ein vitales Pressewesen kann der freiheitliche Staat nicht gewährleisten, nicht garantieren.“ Für die einzelnen Träger der Pressefreiheit folge daraus „keine Bestandsgarantie“ und keine „Binnenpluralität für die Presseorgane“. Das müssten andere machen.
Sie selbst?

Eine gewisse Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit könnte nicht verhindert werden, sagt Papier. Wie andere „Presseorgane“ dazu stehen, zeigt die nachfolgende Diskussion.

Lammert warnt vor Infotainment

Präsident des Deutschen Bundestages Prof. Dr. Norbert Lammert

Etwas später beginnt der Präsident des Deutschen Bundestages Norbert Lammert seine Keynote für die Veranstaltung „65 Jahre Grundgesetz – 65 Jahre Pressefreiheit“ . Die Diskussion im Bundestag zu zehn Jahren Osterweiterung dauerte ein bisschen länger. Mit diesen Worten gibt Lammert bereits die Stoßrichtung seiner Rede vor – es wird um den politischen Journalismus gehen.

„Wenn ich zu wählen hätte“, sagte einst Thomas Jefferson, „zwischen einem Land mit einer Regierung und ohne Zeitung und einem Land mit einer Zeitung, aber ohne Regierung, würde ich das Land mit der Zeitung nehmen.“ Zum Glück brauche man das in Deutschland nicht, sagt Lammert, schließlich zählt Deutschland zu einem jener Länder, die die vielfältigsten – in Quantität und Qualität – Medienlandschaften haben. Gleichzeitig weist Lammert aber auch auf die Veränderung im Mediensystem hin, die Konkurrenzsituation mit elektonischen Medien, die Schließungen von Zeitungen, im Speziellen Lokalzeitungen. Das führe in manchen Kommunen zu der Situation  dass es nur mehr eine Lokalzeitung gibt.

Kritisch sieht Lammert auch, dass der Journalismus hierzulande gouvernemental organisiert ist – die Regierung interessiert also mehr als das Parlament. Auch seien die tatsächlichen und eingängigen Zwänge unter denen sowohl die Medien als auch die Politik stehen – Stichwort: Leserzahlen bzw. Meinungsumfragen – eine Erklärung aber keine Ausrede für Qualitätsmängel.

„Was mich besorgt stimmt, ist der große Trend, den ich im Mediensystem in Deutschland wie international feststelle, und der sich ganz zweifellos und insbesondere durch die elektronischen Medien befördert: Der Vorrang von Bildern gegenüber von Texten, die Personalisierung gegenüber Sachverhalten, die Schnelligkeit vor der Gründlichkeit, die Unterhaltung vor der Information“, sagt Lammert. Anders formuliert: Infotainment, das Bedürfnis von Unterhaltung, verdränge den Bedarf an Informationen.

In diesem Zusammenhang nennt er die Skandalisierung von Medien, wie etwa in dem Fall von Wulff. Lammert zitiert dabei Heribert Prantl aus dem Artikel „Sind die Medien noch vierte Gewalt?“ , dass in der Causa Wulff eine Art von Gewalttätigkeit lag – diese Art von Gewalt sei nicht gemeint, wenn von vierter Gewalt die Rede sei. Lammert teile die Meinung ausdrücklich, dass in der Causa Wulff eine Art von Gewalttätigkeit läge.

Ein zweiter dringlicher Punkt, den Lammert anspricht ist, die Frage, wie stark Medien die Demokratie verbiegen würden: „Ich finde die Frage zunehmend berechtigt und dringlich, ob Medien durch ihre Art der Berichterstattung nicht zunehmend einen Typus von Politiker selbst erzeugen, den sie anschließend als abschreckendes Beispiel präsentieren.“ Eine Frage, die sich nicht nur an die Medien, sondern auch an die Politik richten würde.

Seine Rede schließt Lammert mit einer hoffnungsvollen Botschaft: „Ich bin von der Zukunft der Zeitung viel stärker überzeugt als so manche Medienanalytiker, weil die Zeitungen den elektronischen Angeboten strukturell überboten sind und weniger Wichtiges von Wichtigem unterscheiden können.“