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Werkstattbericht: Gute EU-Wahlberichterstattung im Blatt

Für Dr. Christian Kucznierz von der Mittelbayerischen Zeitung ist EU-Wahlberichterstattung kein Novum. Schon 2009 hat die Zeitung versucht, mit Wahl-Ausgaben und Wahl-Specials ihre Leser an das Thema heranzuführen. Mit soliden Abgrenzungen der Parteien, Kommentaren und Hintergrundberichten. Das signalisiert: Die Europawahl gehört dazu, sie geht euch was an, deswegen machen wir sie für euch transparent. Zum Nachlesen ein Wahl-Paket des Blattes.

Beispiele für EU-Wahlberichterstattung. © Mittelbayerische Zeitung.

Werkstattbericht: Mit dem Camper durch die Staaten

Abenteuerreise im Namen des Journalismus: Warum nicht einfach mal alle 28 EU-Länder in 82 Tagen vor der Wahl bereisen, Land, Leute und Politik kennenlernen? Für Euranet ist diese Tuchfühlung mit dem Staatenverbund keinesfalls Utopie. Bei dem Europäischen Radionetzwerk gehören solche Reportagen zum realistischen Ideenpool für die Wahlberichterstattung, sagte Uwe Wollgramm an diesem Donnerstag auf dem bpb-Seminar „Europa lokal“ bei den „Werkstattberichten“. Im „Euranet“ sind über ein Dutzend Hörfunksender aus ebenso vielen EU-Staaten für eine bessere Berichterstattung von und über Europa zusammengeschlossen. Wollgramm ist Geschäftsführer der Agentur ams, die deutschprachige Beiträge mitproduziert, und Vorsitzender der Europäischen Wirtschaftlichen Vereinigung (EWIV) Euranet plus.

Euranet ist auf die EU-Bericherstattung, ja -aufklärung spezialisiert, und die Produzenten kommen vom Fach, im Falle von Wollgramm, von Radio Bielefeld. Die Sender sind zwar verpflichtet, den „Service“ anzunehmen, er muss aber dennoch wissen, wie das Angebot unter die Leute kommt; dazu gehören News, Servicebeiträge, „unterhaltsame Erklärstücke“, ein EU-Wochenrückblick, die Medienschau Europa und Magazinsendungen. Nicht alle Ideen sind so teuer der Europa-Trip zur Wahl, und von einigen können auch Lokalredaktionen profitieren. „Für das Lokale ist zum Beispiel SEPA interessant, weil jeder davon betroffen ist“, sagte Wollgramm. Oder die örtliche Verwendung von EU-Fördergeldern, wie Sozialfonds. Hier könnte man recherchieren, wie örtliche Unternehmer oder Bürger versuchen, ihre Interesse durchzusetzen; das würde nicht nur Lobbyismus, sondern auch Bürgerbeauftragte einschließen. Und zur Wahl? Da müsse erstmal Grundsaufklärung geleistet werden, über die Bedeutung, Verfahren, Kandidaten und Programme. Ähnlich wie bei der Bundestagswahl. Um überhaupt zu vermitteln, wieso die EU jemanden interessieren sollte, würde sich auch eine Reportage über Studieren, Arbeiten und Leben in der EU anbieten – vor allem auch darüber, wo EU-Gesetzgebung in diesen Alltagen versteckt ist.

Grenzenlose Kommunalpolitik?!

Frank Scherer (Mitte) ist Landrat des Ortenaukreises und Präsident des Eurodistrikts Strasbourg-Ortenau. Foto: Dudeck

Frank Scherer (Mitte) beschreibt den Lokaljournalisten den Mehrwert und die Eigenheiten der territorialen Zusammenarbeit im Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau. Solche grenzüberschreitenden Zusammenschlüsse gibt es einige in Deutschland – auch an der deutsch-polnischen Grenze. Foto: Dudeck

Frank Scherer ist nicht nur Landrat des Ortenaukreises, sondern auch Präsident des Eurodistrikts Strasbourg-Ortenau. Darüber, wie die dauerhafte französisch-deutsche Zusammenarbeit funktioniert, und was hinter dem anspruchsvollen Projekt „Eurodistrikt“ überhaupt steckt, sprach er an diesem Donnerstagabend auf dem bpb-Seminar „Europa lokal“. Vom dualen Ausbildungsprogrammen bis zur „Silvesterprävention“, die Zusammenarbeit ist facettenreich, nicht immer einfach, dafür aber umso spannender.

Seine Präsentation kann man hier als PDf nachlesen: Frank Scherer, Präsentation Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau

Schlechte Zeiten für die Täter am Oberrhein

Alexander Ulmer (r.) arbeitet seit 2006 als Koordinator des Zentrums der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit Kehl. Radiomann Michael Lehmann vom SWR moderierte die Diskussionsrunde im Seminar "Europa lokal". Foto: Dudeck

Alexander Ulmer (r.) arbeitet seit 2006 als Koordinator des Zentrums der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit Kehl. Radiomann Michael Lehmann vom SWR moderierte die Diskussionsrunde im Seminar „Europa lokal“. Foto: Dudeck

Ein erfundener, aber jederzeit denkbarer Fall: Ein Bankräuber flüchtet nach der Tat in einer Stadt am Oberrhein über die Grenze nach Frankreich. Die deutsche Polizei muss die französischen Kollegen informieren und Amtshilfe anfordern. Kompliziert? Das dauert? Fehlanzeige! Die „Übergabe“ dauert im besten Fall nur Sekunden: Im gemeinsamen Zentrum der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit in Kehl sitzen sich Beamte aus so grundverschiedenen Behörden wie Landes- und Bundespolizei, Zoll, Gendarmerie, Police Nationale, Douanes und „Droits indirects“ direkt am Schreibtisch gegenüber oder arbeiten engstens zusammen. Alle sind (mindestens) zweisprachig. Innerhalb kürzester Zeit geht die Fahndung auch westlich des Rheins raus. Der Täter wird gefasst. Mehr von all den interessanten Informationen, die Alexander Ulmer, seit 2006 Koordinator des Zentrum der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit Kehl im Europa-Seminar in Offenburg erzählte, findet sich in seiner Präsentation: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei und des Zolls

Was Kläranlagen mit der EU zu tun haben, und wie EU-Politik attraktiv wird

Margit Conrad, Europaministerin für Rheinland-Pfalz wünscht sich meht EU-Berichterstattung und nicht bloß, wenn etwas schief läuft. Foto: Dudeck

Margit Conrad, Europaministerin für Rheinland-Pfalz wünscht sich meht EU-Berichterstattung und nicht bloß, wenn etwas schief läuft. Foto: Dudeck

„Das ist einfach unsexy“. Margit Conrad, Europaministerin in Rheinland-Pfalz, sprach am Donnerstag auf dem Seminar „Europa lokal“ nicht über irgendwelche Trends oder Menschen, sondern über die in vielen EU-Dokumenten fast schon obligatorische  Endung „zur Vollendung des Binnenmarktes“. Mit solchen Begriffen könne man keinen Wahlkampf machen. Für Journalisten dürfte es ebenso schwer sein, damit fesselnde Beiträge zu gestalten. Conrad betonte mehrfach, dass Europa sozialer werden solle; die Bürger müssten aber auch sehen, dass sich politische Forderungen unterscheiden und als solche echte Konsequenzen vor Ort haben. Ein Kernanliegen des Lokaljournalismus, Besonders sichtbar sind diese Folgen in grenznahen Regionen, in denen die Zusammenarbeit mit anderen Ländern nicht bloß graue Theorie ist.

Conrad hat selbst grenznahe gelebt und im Saarland und Rheinland-Pfalz Politik gemacht. Hier geht es an den Alltag. „Welche Sozialversicherung brauche ich? Welche Rentenansprüche habe ich? Welche Freiheit habe ich auf dem Arbeitsmarkt? Das sind wichtige Fragen in den Grenzregionen“, sagte Conrad. Und nicht nur dort, Fragen der Mobilität sind Fragen der EU. Als offizielle „Staatsministerin und Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa“ und Mitglied im „Ausschuss der Regionen der Europäischen Union“ erlebte und betreut sie einige Projekte, die sie auf dem Seminar vorgestellt hat, zum Beispiel im EURODISTRICT REGIO PAMINA. Dazu gehören Gebiete in der Südpfalz, im Nordelsass und am Mittleren Oberrhein.

Conrad verwies auf die Broschüre „ RheinlandPfalz: Europa vor Ort“, die Sie hier herunterladen können. Darunter sind der mit EU-Mitteln geförderte PAMINA-Radweg Lauteral, das grenzüberschreitend genutzte Rebmeerbad mit dem PAMINA-Nachwuchsschwimmerfest und die Europäische Rechtsakademie, die alle teils aus EU-Mitteln gefördert werden.

Manchmal zeigt sich Europa an den Grenzen offenbar nicht nur in trinationalen Studiengängen und der Privatisierungs-Diskussionen. Manchmal sind es auch eher mondäne Angelegenheiten. Abwasser zum Beispiel. Welche Kläranlagen verarbeiten was? Die Grenzregionen hätten viele neue Gesetzeslagen hervorgebracht, erläuterte Conrad. Auch auf EU-Ebene. Es entstanden Probleme, auf die es bisher keine rechtliche Antwort gab. Also wurde gehandelt, Verträge geschlossen. „Wir dachten, bald sitzen wir im Gefängnis“, scherzt Conrad. Sie hätte als Politikerin mit den kommunalen Spitzenverbänden zusammengearbeitet, mit dem Europäischen Parlament und der Kommission. Heute erlaube die Gesetzeslage, dass solche Kooperationen nicht von ganz oben abgesegnet werden müssen.

Bauernbrot trifft Baguette

Norbert Mattusch von der Arbeitsagentur Offenburg und Freiburg. Foto: Dudeck

Norbert Mattusch von der Arbeitsagentur Offenburg und Freiburg. Foto: Dudeck

„Bauernbrot trifft Baguette“. Knackige Formel  für eine gute Sache: Norbert Mattusch informierte die Teilnehmer beim bpb-Seminar Europa lokal über seine Arbeit in der der Stabsstelle für grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Agenturen für Arbeit Offenburg und Freiburg. Dass es zwischen Franzosen und Deutschen in der Haltung zur eigenen Arbeit auch Mentalitätsunterschiede gibt, erzählte er mit einem Augenzwinkern.

Grenzüberschreitende Arbeitsvermittlung

Werkstattbericht: Es geht um mehr als bloß den Krümmungsgrad der Gurke

Wir müssen über das Rollenverständnis der Journalisten bei der Europawahl reden. Cai Rienäcker, stellvertretender Chefredakteur des SWR war bis zum Frühjahr Leiter der Hörfunkstudios für SWR, BR und MDR in Brüssel und davor selbst Korrespondent im ARD-Studio in Straßburg. Er schilderte bei der bpb-Redaktionskonferenz „Europa lokal“ ein typisches Phänomen: Vor den Wahlen tauchen die Politiker plötzlich im Pulk auf und flehen die Journalisten an, die Medien müssten die Wahlbeteiligung erhöhen.

Doch Rienäcker versteht sich nicht als Missionar oder gar als die PR-Abteilung für die EU. „Unsere Rolle als Journalisten liegt irgendwo dazwischen. Wir zeigen kritisch was da passiert.“

Das Personalisieren durch Portaits der Europaabgeordneten des Heimatwahlkreises und auch der Spitzenkandidaten für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten funktioniert gut, erklärte Rienäcker und nannte den Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit und Jean-Claude Juncker, der nach seinem Machtverlust als Premierminister Luxemburgs nun in Brüssel auf Jobsuche ist, als markante Köpfe.

Ein dankbares Thema, um Europa zu erklären, ist der Verbraucherschutz. Es gibt das Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz, das Bürgern in ganz Europa mit Rat und Tat zur Seite steht, wenn es ein Problem mit grenzüberschreitenden Dienstleistungen, der Gesundheitsversorgung und einem Verkauf gibt.

Sobald ein Thema einen konkreten Nutzwert für die Hörer und Leser hat, wird es auch eher angehört oder gelesen – zum Beispiel die Roaminggebühren für Mobiltelefone auf Auslandsreisen in der EU.

„Europa ist eben nicht bloß die Diskussion um den Krümmungsgrad der Gurke“, sagte Rienäcker. Redaktionen sind eher bereit einen Beitrag ins Programm oder die Blattplanung aufzunehmen, wenn der Autor es ihnen mit einem spannenden Aspekt schmackhaft macht, wie: „Dieses Mal geht es bei der Europawahl um die Wurst.“