Im Panel G trugen Dr. Alexander Marinos (von links), Eva Maria Hinterberger, Magdi Aboul-Kheir, Prof. Dr. Alexandra Borchardt und Jana Klameth ihre Ideen vor. (Foto: Marcus Klose, drehscheibe)
Am Ende von Panel G war klar: Bei diesem Thema geht es um mehr als die Suche nach einer Lösung. Es geht um die Substanz, um die ganz essentielle Frage: Was zeichnet Lokaljournalismus eigentlich aus? „Nachwuchs fürs Lokale erfolgreich rekrutieren“ lautete die Überschrift des Panels G, das Jana Klameth (Freie Presse, Chemnitz) moderierte, und angereichert war mit wissenschaftlichen Erkenntnissen der Medienforscherin Prof. Dr. Alexandra Borchardt und guten Praxisbeispielen (Magdi Aboul-Kheir, Südwest Presse in Ulm, Eva Hinterberger, Oberpfalz Medien, Weiden, Dr. Alexander Marinos, WAZ, Essen). Wie also soll das Volontariat der Zukunft aussehen?
Offen und ehrlich
Eine Antwort darauf hat Magdi Aboul-Kheir von der Südwest Presse. Wer die Zukunft des eigenen Medienhauses aufbauen will, muss erst offen und ehrlich erkennen, was nicht gut lief und was die Region und die Redaktion auszeichnet. So fasste es Aboul-Kheir zusammen. Er ist bei der Südwest Presse in Ulm für die Volontärsbetreuung zuständig und hat es mit einer neuen Herangehensweise von elf Bewerberinnen und Bewerbern im vergangenen Jahr auf 80 in diesem Jahr geschafft. „Das Versprechen ,Wir machen eine gute Ausbildung‘ hat gefehlt“, sagt Aboul-Kheir. „Früher haben sich die Bewerbungen gestapelt, heute müssen wir dafür werben. Wir haben den Aufruf ein bisschen auf Social Media geteilt, ein paar Anzeigen geschaltet, an ein paar Hochschulen Werbung gemacht.“ Doch das reichte nicht mehr. Also hat seine Redaktion das Recruiting komplett neu gedacht. Heraus gekommen ist dabei:
- Neue Karriereseite fürs Volontariat
- Niedrigschwelligeres Bewerbungsformular
- Neuer E-Mail-Verteiler (Hochschulen, die etwas mit Medien zu tun haben)
- Google Ads (400-500 Euro)
- Teilnahme am Career Day der Macromedia Hochschulen
Mit der Folge, dass in diesem Jahr 80 bis 90 Bewerbungen in der Redaktion eingingen. 50 davon wurden näher angeschaut und die Personen befragt, wie sie auf die Südwest Presse aufmerksam wurden: 23 kamen über Google und die Karriere-Seite, sieben über die Anzeige, sechs über das Berufeportal Indeed und fünf über Linked-In. Wir haben Aboul-Kheir im Video-Interview noch einmal zum Volontariat befragt. Hier geht es zum Beitrag.
„Ein Volo ist immer ein Extra und kein Ersatz“
Vor so einem Prozess stehe, klar zu benennen, was die Stärken des eigenen Hauses sind. Bei der Südwest Presse werde ein Tarifvertrag geboten, der Ausbildungsplan umfasse alle Stationen im Verlag, ein Monat könne frei gewählt werden (auch eine externe Station), es gibt eine Sprecherausbildung (für Podcasts) und geplant sind eine Volo-Woche im Allgäu. Ein Angebot, das viele ernst nahmen. „Man muss die Ausbildung on top stellen, ein Volo ist immer ein Extra und kein Ersatz.“ Aboul-Kheir ist außerdem überzeugt, dass Zeitungen offener werden sollten für Quereinsteiger oder junge Menschen direkt nach dem Abitur.
Auch Quereinsteiger sind willkommen
Diese Auffassung vertreten auch Eva Maria Hinterberger (Oberpfalz Medien) und ihre Kolleginnen und Kollegen. „Wir versuchen, die Stärken der Bewerber zu nutzen“, sagt sie.
Beispielsweise habe sich eine Versicherungskauffrau beim Neuen Tag beworben. Ihr teilte die Redaktion im Volontariat vorwiegend Servicethemen zu. Ein anderer Bewerber hatte einen erfolgreichen Instagram-Account, „er hat dann ein ganz anderes Volontariat als andere“. Was gleich bleibe, sei die Basisstation im Lokalen.
Das erste Klimavolontariat Deutschlands
Diese Spezifizierung treibt die Westdeutsche Allgemeine Zeitung auf die Spitze und führt in diesem Jahr ein Klimavolontariat ein, ein Novum im deutschen Journalismus. Wir haben mit Dr. Alexander Marinos bereits ausführlicher darüber gesprochen.
Eine Zusammenfassung, was das Klimavolontariat ist, lesen sie hier.
Wen will der Lokaljournalismus erreichen?
Muss sich das Volontariat verändern? Müssen sich die Bewerberinnen und Bewerber den Strukturen im Lokalen anpassen? Welchen Anspruch sollten Redaktionen haben? Was darf erwartet werden? Sollte es mehr Expertinnen und Experten für verschiedene Themengebiete im Lokalen geben? Was ist Lokaljournalismus heute? Und wen will er erreichen? Die lebhafte Debatte unter den Teilnehmenden während des Panels zeigte deutlich: Das Thema geht an die Substanz. „Wir sind immer noch zu altmodisch. Wir müssen mehr Social Media denken“, sagen die einen. Andere finden: „Wenn jemand gut ist, dann muss man den doch nehmen. Auch wenn er vielleicht keinen geraden Satz schreiben kann. Dafür gebe es die KI.“ Doch auch die Gegenstimmen sind laut: „Dann könnte jeder Klempner Journalist werden.“ Und: „Ein abgeschlossenes Studium sollte ein Volontär unbedingt haben.“
„Journalismus war früher nicht so akademisch“
Um es mit den Worten der Medienforscherin Prof. Dr. Alexandra Borchardt zusammenzufassen: „Die Talentekrise ist eine der größten Herausforderungen für den Journalismus – für kleine wie für große Marken.“ Ihrer Auffassung müsse das Ziel sein, „den Talentepool zu vergrößern: Es muss Vielfalt geschaffen werden“. Sie blickte auf ihre Anfangsjahre als Reporterin zurück: „Journalismus war früher nicht so akademisch: Der Sportreporter wurde Redakteur. Erst später wurde der Beruf akademisiert.“ Sie ist der Überzeugung, Journalismus könne wieder ein Beruf mit Perspektive sein.
Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist sie der Frage nachgegangen: Are Journalists today‘s cole miners? (Sind Journalisten die Bergbauer von heute?) Hier geht es zum Report.