Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Stephan Weichert über die schwierige Aufgabe, junge Leserinnen und Leser fürs Lokale zu begeistern und zu gewinnen.
Es ist die Frage, die auf der Redaktionskonferenz „Wir lieben Lokaljournalismus“ ständig im Raum schwebt: Wie ergattern die Verlage im Lokalen das Interesse einer jungen, neuen Leserschaft? Das Interesse der „Millennials“? Wie gelingt es, die teils innovativen Inhalte auch an jene Menschen zu vermitteln, die nach landläufiger Meinung kaum noch Zeitung lesen – und schon gar nicht gedruckt?
„Es gibt eine parallele Mediennutzungswelt“ (Prof. Dr. Stephan Weichert)
Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Stephan Weichert hat am Donnerstag einige Antworten zu diesem Thema mit nach Berlin gebracht – oder zumindest Erklärungsansätze. Mit einer Gruppe Studierender hat Weichert die Mediennutzungswelt junger Generationen im Netz untersucht – eine „parallele Medienutzungswelt“, wie er sagt. Es wurden Tiefeninterviews mit jungen Menschen geführt, existierende quantitative Studien gesichtet und ergänzend Interviews mit Chefredakteuren geführt, die spezifische Angebote für junge Zielgruppen verantworten.
„LeFloid ist sein Ulrich Wickert“ (Prof. Dr. Stephan Weichert über einen 16-Jährigen)
Zunächst aber: Wer sind die „Millennials“, von denen Weichert da spricht? Es kann ein 16-jähriger Schüler sein, eine 22-jährige Studentin oder auch eine 34-jährige alleinerziehende Mutter mit Migrationshintergrund. „Es sind verschiedene Alterskohorten, die man nicht über einen Kamm scheren darf“, sagt Weichert. Er hat einige konkrete Beispiele mitgebracht und betont: „Wir haben nicht nur Hipster aus den Großstädten gefragt“. Da ist zum Bespiel Moritz, 16 Jahre, aus der Nähe von Hamburg. Der mag „Games“, hat aber durchaus auch Interesse an Journalismus und politischen Inhalten. Aber: Er liest dafür keine Zeitungen und schaut keine klassischen Nachrichten – sondern klickt sich durch YouTube. „LeFloid ist sein Ulrich Wickert“, sagt Weichert.
Oder Torsten, 26 Jahre, Landschaftsgärtner aus Berlin-Neukölln. Der sagt: „Ich meide Nachrichten eigentlich komplett“. Denn: Die meisten Nachrichten seien ihm zu stark auf Krisen fokussiert und nicht so sehr auf Lösungen. Weichert empfiehlt deshalb mehr „Konstruktiven Journalismus„. Im Fokus müsse aber die Frage stehen: Wie kann man eine „Local News Experience“ schaffen, die Torsten aus Neukölln befriedigt und vielleicht sogar begeistert? Vielleicht über Dialog mit der Zielgruppe, um das teilweise sehr lokale Interesse der „Millennials“ besser einordnen und als lokales Medium gezielt ansteuern zu können, so Weichert.
„Lokale Inhalte gezielter ausspielen“ (Prof. Dr. Stephan Weichert)
Der 16-jährige Moritz zum Beispiel, den Weichert am Donnerstag mehrmals als Beispiel anführt, möchte, dass die Themen, die ihn interessieren, über die von ihm genutzten Social-Media-Kanäle ausgespielt werden. „If the news is important it will find me“ – dieser Spruch treffe auf Moritz „zu 100 Prozent“ zu. Wie viele anderen 16-Jährigen erwartet er, dass die Nachrichten zu ihm kommen und dass er nicht danach suchen muss. Eine junge Frau hat in der Befragung von Weicherts Team „Google“ als ihr liebstes Nachrichtenmedium angegeben. Und wenn sie Nachrichten aufruft, dann tut sie es – natürlich – über ihr Smartphone.
Und wie sieht es mit der Zahlungsbereitschaft der Jungen aus? Lernende Algorithmen, die sich auf das Nutzungsverhalten einstellen, so Weichert, könnten da ein Ansatz sein. Denn wenn die News extrem relevant für das eigene Lebensumfeld erscheinen, steige auch die Zahlungsbereitschaft – etwa für Apps. Zeitungsverlage müssten zudem stärker auf automatisierte Services setzen, auf Social Bots, die News kontrollierter ausspielen. Und: Es müsse mehr genuin für Social Media optimierte Inhalte geben – und nicht einfach nur eine responsive Webseite.
Und dann erwähnt Weichert noch mehr Transparenz und mehr Vielfalt: Mehr Diversität in den Redaktionen sei ein Muss, wenn mann die junge Zielgruppe erreichen wolle. Das alles würde Weichert zufolge helfen, junge Leute wie Moritz anzusprechen. Wenn dann noch eine gewisse „Labor-Atmosphäre“ hinzukäme, mit dem Mut, auch einmal neue Dinge auszuprobieren, sei man vielleicht auf einem guten Weg.
Zur Person: Prof. Dr. Stephan Weichert ist Professor für Journalismus und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule Macromedia in Hamburg. Zudem ist er wissenschaftlicher Leiter des berufsbegleitenden Masterstudiengangs Digital Journalism an der Hamburg Media School und Gründer des Debattenportals vocer.org.
Hier geht es zur Studie zum Mediennutzungsverhalten der „Millenials“.