PANEL 1: Geschichte(n) schreiben
„Die Kleinen sind die Großen“ – mit diesen aufmunternden Worten eröffnet Marc Rath, Geschäftsführer und verantwortlicher Regionalredakteur der Volksstimme (Altmark), das Panel. Zu den beiden Workshops, die sich direkt an kleinere Redaktionen wenden, seien mehr Teilnehmer gekommen, als zu den Workshops für größere Redaktionen, sagt Rath. Inputgeber des Panels mit dem Titel „Geschichte(n) schreiben“ sind Melanie Lippl, Redakteurin der Mindelheimer Zeitung, und Ulrich Suffner, Redaktionsleiter der Oldenburgischen Volkszeitung in Vechta.
Anforderungen an eine gute Geschichte
Eine gute Geschichte muss den Leser bewegen und es muss darin um Menschen gehen.
- Mindelheimer Zeitung: „Man kann jedes Thema so erzählen, dass es den Leser betrifft.“
- Oldenburgische Volkszeitung: „Die Redaktion setzt vor allem auf Polizei- und Gerichtsthemen sowie auf datenjournalistische Umsetzungen. Zudem hat die Zeitung einen Korrespondenten in Hannover, da der Landesdienst der dpa nicht lokal genug ist.“
Organisationsprozesse in der Redaktion
Sinnvoll ist die Zusammenarbeit mit verschiedenen, auf bestimmte Themengebiete spezialisierten Reportern.
Ein gutes Tool sind regelmäßige Konferenzen, auf denen die Themen längerfristig geplant, die Ergebnisse protokolliert und dann per E-Mail an die gesamte Redaktion verschickt werden. Das erhöht die Verbindlichkeit.
- Oldenburgische Volkszeitung: Seit 2011 trennt die Zeitung Reporter und Desk. Am Desk unterteilt sie zudem in Planer und „Redigierer“. Es wurden vier freie Reporterstellen geschaffen, die sich auf bestimmte Themen konzentrieren: Polizei, Gerichtstermine, Datenjournalismus und Wirtschaft. Jeder Reporter schreibt pro Woche ein Porträt, an einem festgelegten Tag. Vorteil: Reporter wissen, wann sie liefern müssen. Es gibt eine feste strukturelle Größe im Redaktionsablauf.
- Mindelheimer Zeitung: Alle 7 bis 14 Tage gibt es eine große Konferenz. Hier werden die Themen langfristig besprochen. Es wird festgelegt: Welches Thema ist relevant? Wer macht es? Wie sieht die Online-Umsetzung aus? Das wird protokolliert und in den Redaktionen herumgeschickt.
Vereinsberichterstattung
Redaktionen sollten den Dialog mit Vereinen suchen. Oftmals sehen diese ein, dass sich nicht alle Ereignisse für die Zeitungsberichterstattung eignen.
Feste Richtlinien erleichtern den Umgang mit Vereinen. Sie legen fest, wann ein Verein oder auch ein Spender in der Zeitung erwähnt wird und in welchem Umfang. Die Richtlinien werden in der Regel akzeptiert.
- Mindelheimer Zeitung: Um Kapazitäten für gute Geschichten zu haben, muss man Sachen weglassen. Bei der Mindelheimer Zeitung waren das vor allem Termine und die klassische Vereinsberichterstattung. Die Redaktion schrieb mehrere hundert Vereine im Verbreitungsgebiet an und fragte nach besonderen Geschichten und Ansprechpartnern (Bsp: die jüngste Kaninchenzüchterin). Es gibt feste Richtlinien, wann Vereine und Spender in die Zeitung kommen.
Nähe / Distanz
Muss der Reporter in der Stadt leben, über die er schreibt? Es gibt Redaktionen, die sagen ja, weil er das interne Wissen haben muss. Es gibt auch Redaktionen, die sagen nein, weil ortsfremde Reporter mitunter neugieriger sind.
- Oldenburgische Volkszeitung: Ja, die Reporter seiner Zeitung leben in dem Kreis über den sie berichten. Das ist Teil der Zeitungs-Politik.
- Freie Presse (Chemnitz): Nein. „Es gibt Kollegen, die wohnen in einem Ort, bringen aber selten Geschichten mit, weil ihnen die Neugier fehlt. Da bringt es manchmal mehr, wenn der Reporter von außerhalb kommt.“ (Nancy Dietrich, Lokalchefin)
Geschichten längerfristig im Blick behalten
Es ist sinnvoll, jeden Artikel nach Terminen abzusuchen, die für die Geschichte in Zukunft relevant werden und diese Termine dann in einem Kalender zur Wiedervorlage zu notieren.
- Freie Presse: Nancy Dietrich setzt auf die Wiedervorlage. Sie scannt jeden Tag die Ausgabe, sucht nach Terminen, an denen die Geschichte weitergeht, und trägt sie in einen Kalender ein (Bsp: weiterer Gerichtstermin oder das erste halbe Jahr in der Amtszeit eines OBs ist um). Das dauert etwa zehn Minuten pro Tag.
- Rheinpfalz: Es gibt eine Tabelle mit verbindlichen Schlussterminen für längere investigative Geschichten. „Wenn ein Reporter mehr Zeit für eine Recherche braucht, ist es Aufgabe der Redaktionsleitung, da Freiräume zu schaffen“, sagt Redaktionsleiter Wolfgang Pfeiffer.
Umgang mit Online-Hasskommentaren
Wenn Kommentare gelöscht werden, sollten immer die Gründe dafür angegeben werden. Transparenz wird von der Online-Community geschätzt.
PANEL 2: Nah dran am Publikum
Die eine Redaktion schaut von ihrem Newsdesk aus auf den Marktplatz, die andere ist an den Stadtrand gezogen. Die eine genießt die gemütliche Dorfatmosphäre am Morgen, die andere muss mit dem hektischem Pendler-Strom klarkommen – unterschiedlicher als die beiden Städte Schwetzingen und Marburg – so macht es Moderator Stefan Aschauer-Hundt (Lokalchef Süderländer Tageblatt, Plettenberg) zur Einstimmung des Workshops „Nah dran am Publikum“ deutlich – könnten Lebenswelten in Deutschland nicht sein. Ergiebig ist gerade deshalb die Gegenüberstellung der beiden kleineren Lokalzeitungen – Schwetzinger Zeitung und Oberhessische Presse – vertreten von Lokalchefin Katja Bauroth und Chefredakteur Christoph Linne.
Themenschwerpunkt: Lebenswelten
Man sollte die Zeitung als Zukunftsmodell begreifen anstatt als Auslaufmodell.
Szenario Schwetzingen:
- „Nah dran am Leser“ wörtlich nehmen. Leute kommen zum Newsdesk in die Redaktion, um die Texte zu kommentieren; man wird auf dem Marktfest persönlich angesprochen.
- Das beste Konzept ist immer noch, alle Redaktionen vor Ort zu haben.
- Auch wenn man kein „Kind des Ortes“ ist, man muss den Lesern hundertprozentig das Gefühl geben, vor Ort zu sein.
- Abgrenzung ist nötig: Wenn einem bestimmten Redakteur Informationen zugespielt werden, schreibt ein anderer Redakteur die Geschichte.
Szenario Marburg:
- Menschen sind entweder auf dem Hin- oder Rückweg nach Frankfurt zur Arbeit oder an die Uni Marburg. Hauptzielgruppe, auf die man deswegen speziell reagieren muss: Studenten und Pendler (Beispiel: Hochschulberichterstattung, Forschung Marburg-Seite, Pendler-Abo)
- Heimat ist ein Lebensgefühl, was wir transportieren müssen.
- Linne stellt die Frage: Bilden wir die Lebenswelten noch richtig ab? Es werden Beispiele genannt für neue Formen der Sportberichterstattung: What’sApp-Gruppen, Austausch-Communities, die Daten teilen.
Themenschwerpunkt: Online und junge Zielgruppe
Kinder und junge Erwachsene sind eine bisher noch viel zu wenig beachtete Zielgruppe mit viel Potenzial für die Leser-Blatt-Bindung.
Szenario Schwetzingen:
- Vor fünf Jahren hatte die Zeitung noch keinen Facebook-Account. Heute hat sie 7.000 Freunde.
- „Manche Kollegen wussten vor fünf Jahren noch gar nicht, was Facebook ist“. Heute gibt es die Zeitung in digitaler Form und mit vielen Zusatzangeboten.
- Nicht alle Dienste machen Sinn: Beispiel Twitter, im Durchschnitt drei Follower
- Fragestellung: Was wollen die jungen Leute in der Zeitung lesen? Ausgehtipps. Deswegen wird jetzt eine lokale Zeitungs-App entwickelt.
- Ideenliste: Vor Ort sein, Kinderfeste organisieren, Aktionen machen, Verbreitungsgebiete abfahren, organisierte Wanderungen, gemeinsame Kochaktionen. Vereine dürfen sich auf einer Bühne vorstellen.
Szenario Marburg:
- Angebote nicht zu kompliziert machen, vor allem für junge Leser.
- Community bilden funktioniert gut. Ideenliste: 1. Spontane Online-Tauschbörse bei Hochwasser: Wer braucht was, wer bietet was an? 2. Redakteure gehen ins Fitness-Studio, Leute fiebern mit wie die Kalorien purzeln.
- Beispiel für Online-Beteiligung: Zeitung berichtet auf Facebook über die Suche nach einem neuen Namen für einen Stadtplatz. 50 Kommentare mit Namensvorschlägen gehen ein.
- Kinder mehr mit einbinden, mit Angeboten wie Lernspielen und Aktionen.
Themenschwerpunkt: Interne Aufstellung der Redaktion
Neue Allianzen zwischen Redakteuren von verschiedenen Zeitungen und Verlagshäusern wären notwendig.
Szenario Schwetzingen:
- Problem, morgens die vielen wichtigen Meldungen, die online schon zu guten Geschichten umgesetzt wurden, ins Blatt zu holen. Volontäre bringen viel frischen Wind, gerade mit Facebook: Sie posten Fotos, haben Lust auf Social Media, man muss sie anspornen, diese Lust in die Redaktion zu tragen.
Szenario Marburg:
- Zusammenarbeit von Online und Print hakt manchmal: Informationen von den Online-Redakteuren werden nicht immer übernommen, weil viele Print-Redakteure immer noch auf die klassischen Infokanäle (etwa Pressemitteilungen) warten, anstatt schnell die Infos von den Online-Kollegen zu übernehmen.
- Alles nutzen, um Menschen für unseren Beruf zu begeistern.