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Trollen die Laune verderben

Die Teilnehmer des Challenge accepted-Seminars diskutieren darüber, wie man mit Kommentare von Trollen am besten umgeht.

Der Leser generiert gerade bei Blogs Inhalte mit. Meinungen werden ausgetauscht, es wird kommentiert und diskutiert. Auf Websites und in sozialen Medien tauchen auch immer wieder Trolle auf, die den Medienmachern zu schaffen machen. Darüber, wie Trolle bekämpft und herausgefiltert werden können, haben die Teilnehmer des Seminars heute lebhaft diskutiert.

„Kommentare nur auf Facebook zuzulassen ist feige“

„Eigene Foren werden oft knapp und geschlossen gehalten, da bei rechtswidrigen Posts von Trollen am Ende die Redaktion haftet“, erklärt Prof. Dr. Volker Lilienthal, Medienwissenschaftler von der Universität Hamburg. Redaktionen ziehen daraus oft die Konsequenz, dass Leser nur noch auf Facebook die Möglichkeit zum Kommentieren erhalten. Diese Variante hält Lilienthal für feige. Stattdessen sieht er in der Gründung von Communitys eine gute Möglichkeit, um den Trollen gemeinsam entgegenzutreten.

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass nirgends so viel und so offen diskutiert wird, wie auf unserer Seite“, sagt Annabel Trautwein, Gründerin von WilhelmsburgOnline. Diesen Austausch der Bürger müsse man auch zulassen, um ein realistisches Abbild der Meinung der Zivilgesellschaft zu liefern. „Auch grenzwertige und kritische Kommentare sollten veröffentlicht werden. Auch wenn sie den Charakter von Stammtischparolen aufweisen, verstoßen sie jedoch nicht gegen die Regeln.“

Eine Möglichkeit: Trolle bei WordPress sperren

Unter anderem WordPress ermöglicht Bloggern, User zu filtern und Kommentare vor der Veröffentlichung zu kontrollieren. Dadurch könne man es Trollen ein wenig schwerer machen, so Trautwein. „Oft verlieren sie dann schnell das Interesse am Kommentieren.“

Wer Autoren oder andere Leser persönlich angreift, bedroht oder beleidigt, hat auf Blogs keinen Platz. Trotzdem soll ein offener und unzensierter Austausch stattfinden – wie finden Lokalblogger also den Mittelweg um ihre Leserkommentare zu koordinieren und die Diskussion ausgeglichen zu moderieren?

Annabel Trautwein findet, „nur dagegenzuhalten ist kontraproduktiv!“

„Es ist problematisch, Trolle völlig vom Kommentieren eines Themas auszuschließen, weil sie dann häufig einfach auf andere Themen ausweichen“, erklärt ein Seminarteilnehmer. Auch Annabel Trautwein findet, dass es schlichtweg kontraproduktiv sei, nur dagegenzuhalten. „Wenn man Fakten liefert, die solche dummen Thesen widerlegen, werden Diskussionen oft vernünftiger.“ Das mache zwar Arbeit, rentiere sich aber Ende, indem sich weniger Trolle unter die User mischen, wenn sie wissen, hier mit Gegenwind rechnen zu können.

Plattform für kritische Bürger

Hubert-Denk-Buergerblick-PassauOffen führte Hubert Denk, Gründer des „Bürgerblick“ aus Passau, die Seminarteilnehmer in die Gründungszeit seines unabhängigen Blogs ein und ließ dabei auch die Schwierigkeiten nicht außen vor.

In erster Linie sieht sich Denk in der Funktion, eine zweite Stimme in die Berichterstattung im Lokalen einzubringen und so gegen den Mainstream zu arbeiten. Die Vielfalt in der lokalen Berichterstattung gehe verloren. Lücken, die Denk mit seinem Onlineblog Bürgerblick.de füllen will. Inzwischen ist aus diesem Projekt, das ihm Anfang der 2000er-Jahre eigentlich zur Selbstvermarktung als freier Journalist dienen sollte, eine echtes Gegengewicht geworden. „Ich bin ein Korrektiv, durch meine Berichterstattung ändert sich auch die der Heimatzeitung“, sagt Denk selbstbewusst.

Transparenz und Ehrlichkeit gegenüber den Lesern

Die Abonnenten genau wie Werbekunden schätzen den transparenten und ehrlichen Journalismus den Hubert Denk inzwischen neben dem Blog auch als Printmagazin und ePaper vermarktet. „Die Frage, ob es für eine Werbeanzeige ein redaktionelles Entgegenkommen geben kann, traut sich bei mir keiner mehr zu stellen“, so Denk. Er beäugt Werbetreibende stattdessen umso kritischer. Das kommt auch bei Unternehmen gut an.

Redaktionelle Unabhängigkeit ist essentiell für guten Journalismus

„Jeder ist käuflich“, sagt Denk. Das Werbewesen sei oft tonangebend,  große Verlage kaschierten es nur besser. Diese Erkenntnis musste Denk selbst auf schmerzhaftem Wege erfahren. Als er eine Zeitlang Redakteur eines Anzeigenblattes war, sei ihm gekündigt worden, weil er sich nicht den Wünschen der Anzeigenkunden beugen wollte. Aufgrund dieses Erlebnisses ist es ihm ein Anliegen, seinen Lesern vor Augen zu führen, was durch die zunehmende Werbung, auch im redaktionellen Teil, alles im Argen liegt. Eine klare Trennung zwischen Redaktion und Werbung sei essentiell.

Damit will er zudem der Meinung entgegensteuern, dass Lokaljournalisten keine objektive Berichterstattung liefern könnten. „Ich will das Berufsbild des Journalisten wieder verbessern“. Das geschehe vor allem dadurch, dass er seine Recherchewege offen lege und die Verbindungen zu Interviewpartner nicht unter den Tisch kehre. So mache sich ein Medium glaubhaft.

Erfolgreiche Finanzierung – selbst ohne Anzeigenkunden

Die Einnahmen aus seinen journalistischen Produkten seien inzwischen auf einem rentablen Niveau, allerdings nehme er durch Anzeigen immer noch das Doppelte ein. Trotzdem lasse sich der Bürgerblick Passau auch bei einem Wegfall aller Anzeigenkunden und nur mittels der 1.300 zahlenden Abonnenten finanzieren. Wenn die ehrliche Begeisterung für einen unabhängigen und kritischen Lokaljournalismus in den Köpfen der Leser angekommen ist, seien diese auch bereit, diese „Dienstleistung Journalismus“, wie Denk es nennt, zu finanzieren.

Bis zu diesem Punkt war es jedoch ein langer Weg. Erst ab dem sechsten Jahr konnte sich der Bürgerblick Passau etablieren. In der Anfangszeit steckte Denk nicht nur viel Geld aus eigener Tasche in das Projekt, sondern vor allem auch viel Herzblut. Nur so können sich Lokaljournalisten in der Öffentlichkeit etablieren und langsam aber stetig wachsen, sagt er.

Unerlässlich für einen guten Blog sei es zudem, dass man das journalistische Handwerk beherrsche. Dazu zählen Unabhängigkeit, ein kritischer Blick, auch auf unbequeme Themen und die eigene Recherche. Es ist zu viel Fremdcontent in lokalen Medien zu finden, findet Denk.

Damit mache man sich zwar nicht immer Freunde und mit Unterlassungsklagen müsse gerechnet werden. Gute juristischer Beistand helfe dabei genauso wie die Unterstützung durch die Abonnenten, die zum Durchhalten motivieren. Auch Infos und selbst Finanzspritzen wurden Denk von Unterstützern zugespielt, „natürlich ohne Gegenleistungen zu erwarten“.

„Ich bin ein perfekter Selbstausbeuter“

Auch wenn sich der Blog durch die Abonnenten- und Einnahmenverkäufe inzwischen rentiert, ist Denk immer noch voll im Einsatz beim Bürgerblick Passau. Er selbst sagt, dass er zwar gerne Praktikanten von der Uni in Passau nehme, aber freie Journalisten oft seinen Ansprüchen an unabhängigen Journalismus nicht genügen. Volontäre würde er zwar gerne ausbilden, diese seien aber momentan noch zu teuer. Trotzdem zahle er mehr Zeilengeld als andere Lokalredaktionen im Umkreis.

Seminar-Eindruck

Die Seminarteilnehmer löcherten Hubert Denk im Anschluss an seinen Input mit Fragen zur Finanzierung von hyperlokalen Blogs und hingen wie gebannt an seinen Lippen.

 

Keine Lückenbüßer

Lilienthal

Lokalblogs schließen die Lücke, die Vollredaktionen und Tageszeitungen heute hinterlassen – zumindest theoretisch, sagt Prof. Dr. Lilienthal, Professor für die Praxis des Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg.

Personalabbau und Redaktionsschließungen führen dazu, dass immer kleinere Redaktionen immer größere Verbreitungs- und Berichterstattungsgebiete bedienen müssen. Das bringe zwangsläufig Qualitätseinbußen mit sich, sagt Lilienthal zu Beginn des Seminars „Challenge accepted – Zukunftsstrategien für hyperlokale Onlinemedien“.

Zum Download die Powerpoint-Präsentation von Prof. Dr. Volker Lilienthal

Tageszeitungen zu ungenau im Lokalen

Oberflächliche Recherchen seien genauso eine Begleiterscheinung des „teilweise etwas träge gewordenen“ Lokaljournalismus, wie die Tatsache, dass sich Lokalredaktionen oft und gerne daran orientieren, was die Kommunalpolitik vorgibt und der Bürgermeister erzählt. Obwohl „das Lokale“ eigentlich der Unique Selling Point für die Tageszeitungen sein sollte, sei dieses Ressort häufig schlichtweg unterentwickelt. „Die Arbeit von Vollredaktionen leistet keine Vollversorgung – besonders nicht im Lokalen“, so Lilienthal.

Wo manche Lokalzeitungen scheinbar versagen, liege auch eine Chance für hyperlokale Blogs: Sie berichten unmittelbar und live und sind näher dran an dem, was die Zivilgesellschaft in einem Stadtviertel bewegt. Digitale Lokalmedien bereichern nicht nur das lokale Informationsrepertoire, sie werden auch gebraucht, um die mangelnde Tiefe der Berichterstattung einiger Lokalzeitungen zu kompensieren.

„Dem Bürgerwillen ein Forum geben“

Lokalblogger könnten die Stimmung des Viertels besser einfangen und wirken dadurch authentischer. Viele Lokalblogger sind erst durch ihr eigenes Selbstverständnis als engagierte Bürger zum Bloggen gekommen. Sie sind die Stimme der Bürger und bieten dadurch einen echten Meinungsaustausch, meint Lilienthal. Ihre Aufgabe und Chance ist es deshalb das Stadtgespräch zu moderieren, die Meinungsbildung ihrer Leser zu fördern und aktuelle Prozesse vor Ort transparent zu machen.

Wenn ein Blog beispielsweise unmittelbar nicht nur darüber berichtet, was in einer Ratssitzung beschlossen wurde, sondern auch Hintergründe offenlegt, erhalten Leser ein ausgewogeneres und dadurch auch besseres Bild. „Lokalblogs arbeiten nicht resultatorientiert, sondern vor allem prozessorientiert“, so Lilienthal. Lokales Geschehen kritisieren und kontrollieren, ganz transparent – das sei also eigentlich die Aufgabe von Lokalblogs.

„Mir persönlich ist kein Lokalblog bekannt, der all diese Aufgaben perfekt umsetzt“, sagt Lilienthal. Einigen Onlinemedien fehle noch die journalistische Qualität und Professionalität, um die selbst gewählten Themen überzeugend darzustellen. Nur fundierter Lokaljournalismus könne dauerhaft einen Beitrag zur Optimierung des Zusammenlebens in lokalen Räumen liefern, ist Lilienthal überzeugt.

Auch die Finanzierungskonzepte lokaler Blogs bewegen sich laut Lilienthal noch auf prekärem Niveau. Viele der Blogger seien mit Herzblut und Engagement dabei, Gewinne würden jedoch selten erzielt. Trotzdem besetzen Blogs eine wichtige Nische, die große Verlage mittlerweile zunehmend vernachlässigen.

Dieser Befund ist ein Appell an Lokalzeitungen und Lokalblogs zugleich.

Lilienthal zeigt sich optimistisch: „Es ist viel zu tun, aber packen wir`s an!“

 

 

Challenge accepted!

hypoerlokal cover

Wenn die Staatsanwaltschaft gegen einen freien Journalisten ermittelt, um dessen Recherchewege aufzudecken (Bürgerblick Passau) oder das Bistum gegen die kritische Berichterstattung einer kleinen Online-Lokalzeitung zu einem Missbrauchsfall klagt (regensburg-digital), dann wird deutlich: Nicht nur in großen Verlagsstrukturen können Lokaljournalisten vor Ort Missstände aufdecken und gesellschaftliche Diskussionen anstoßen.

Einige hyperlokale Websites sind aus der lokalen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken, doch ein gutes gemachtes Onlinemedium aufzubauen und zu halten, passiert nicht durch Zufall. Sondern ist das Ergebnis von harter Arbeit und durchdachter Planung.

Eine Gruppe von knapp 30 Journalisten und Medienmachern nimmt die Herausforderung an, um bis Samstag in Berlin in dem bpb-Seminar „Challenge accepted! Zukunftsstrategien für hyperlokale Onlinemedien“ eben jene Strategien in Arbeitsgruppen und mit Experten zu diskutieren. Unter ihnen, so zeigte die Vorstellungsrunde, sind „Herzblut-Projekte, die in Zukunft auch Geld abwerfen dürfen“, „etablierte Blogs, die ein Stachel im Fleische“ unkritischer Medien sind, Bürgerjournalismus-Portale, ausdifferenzierte Redaktionen, die klein anfingen und mittlerweile selbst Volontäre ausbilden. Großstadtredaktionen, Kiezredaktionen, Dorfredaktionen.

Die Beteiligten haben unterschiedliche Hintergründe und Finanzierungsmodelle, doch ein gemeinsames Ziel: Sich auszutauschen und ihren Platz in der Medienlandschaft langfristig zu sichern und zur Meinungsbildung vor Ort beizutragen. Am Ende dieses Seminars sollen neue Ideen und Konzepte für anspruchsvolle kommunalpolitische Formate (Arbeitsgruppe eins), bessere Finanzen (Arbeitsgruppe zwei) und ein geschärftes Profil (Arbeitsgruppe drei) entstehen. Challenge accepted!
Hier auf dem Seminarblog können Sie die Veranstaltung mitverfolgen.

Den Flyer für das Seminar können Sie hier herunterladen:

BPB_Flyer-Challenge_accepted_Zukunftsstrategien_WEB

Und das Programm hier:

Programmablauf_Challenge_accepted_2015_06_02

Oder auf Twitter unter #bpbhyperlokal

 

 

 

 

Folo 2015: Weg in „eine neue Ära“

Foto: Stefan Worring, Kölner Stadt-Anzeiger

Eröffnungsrunde. Foto: Stefan Worring, Kölner Stadt-Anzeiger

Ja zu mutigen Formaten, ja zu neuen Arbeitswegen, und ja zu einem selbstbewussten Journalismus, der Qualität bewahren will: Drei Tage lang sprachen mehr als 200 Teilnehmer und mehr als 50 Referenten aus Medien, Politik und Wissenschaft über den Lokaljournalismus der Zukunft. Einig waren sie sich vor allem über eins: Dass es sich lohnt, mit durchdachten Angeboten die unterschiedlichen Interessenlagen der Leser gezielt anzusprechen – und dass die Medienhäuser, die einfach so weitermachen wie bisher, nicht bestehen können.

Lokaljournalisten liefern exklusive Informationen über ihre Städte, Politiker und Wirtschaftsräume. Damit füllen sie eine genauso vielversprechende wie verantwortungsvolle Nische auf dem überlaufenen Medienmarkt. „Jeder sollte seinen Auftrag ausfüllen. Komm! Ins Offene, Freund!“, kommentierte bpb-Präsident Thomas Krüger die Eröffnung mit einem Zitat von Friedrich Hölderlin, neben einer Liebeserklärung ans Lokale auch ein Appell an transparente Arbeit bei Unternehmen wie Medienhäusern gleichermaßen.

Mediale Nutzungsgewohnheiten, Dialoge und Erzählformen im Netz ändern sich, die Zeitung muss mit ihren Lesern mitgehen. Der Frage, in welchen Formaten dieser Qualitätsjournalismus erfolgreich sein kann, ging Christoph Keese nach, Executive Vice President der Axel Springer SE. Eines seiner Positiv-Beispiele war die US-amerikanische Lokalzeitung Politico, die mehr als nur eine Website, sondern auch eine Pro Version und zugespitzte Formate wie das „Playbook“ anbiete. Mit Print mache sie nur noch 17 Prozent des Umsatzes. Für ihn liegen Zukunftsstrategien in einer differenzierten, nutzungsorientierten Produktpalette. Es gebe eine Gegenbewegung zum boulevardesken Journalismus, wie qz.com und ozy.com zeigten. „Long-form Journalism at its best“, kommentierte Keese. Auch „das Erlebnis von Abgeschlossenheit“ beim digitalen Lesen würde zu einer vielfach höheren Nutzungsdauer führen. Lokalredaktionen empfahl er, sich zu überlegen, „welcher Journalismus, welche Leistungen zehn Euro im Monat wert sind – und dann genau das zu liefern.“

Foto: Theresa Leberle

Christoph Keese. Foto: Theresa Leberle

Start-ups zählen häufig zu den innovativsten Firmen der Branche. Bernd Ziegenbalg, Geschäftsführer von Raufeld Medien, stellte eine neue App und Website vor: GO.Berlin ist eine Karte, die zeigt, was in Berlin passiert, und zwar nur mit journalistisch aufbereiteten Inhalten und Einordnungen. Wichtigste Erkenntnis: „Orte, die auf der Karte nicht bewertet werden, sind nichts wert und wurden nicht geklickt.“ Sebastian Pranz, Gründer eines anderen erfolgreichen Start-ups, dem FROH! Magazins, geht es hingegen um Longreads und visuelle Experimente. Journalismus biete „mehr als Google“, denn er habe „ethische Größe und kann Recherchewege transparent machen“.

Mit Florian Swoboda, Gründer von Barzahlen.de, machten die Teilnehmer einen Ausflug in den Vertrieb. „Viele Deutschen haben keine Kreditkarte, viele hinterlassen nur ungern Daten im Netz, die Hälfte bezahlt gerne bar“, sagte er. Sein Geschäftsmodell: Die Rechnung bekommt einen Barcode, oder der Käufer erhält einen Code per SMS und bezahlt wird dann in einer von 6.000 Einzelhandelsfilialen in Deutschland, darunter auch dm und Penny, die wiederum Barzahlen.de entlohnen. Fünf Praxisgespräche in kleinen Gruppen und Input-Veranstaltungen mit mehr als einem Dutzend Menschen auf der Bühne bildeten am Donnerstag das Herzstück des Forum Lokaljournalismus in Köln. Das Podium rund um Change Management war sich einig: „Change-Management ist immer Konfliktmanagement. Es betrifft nicht nur einzelne Mitarbeiter, sondern den Verlag“, sagte Ralf Freitag von der Lippische Landes-Zeitung.

Foto: Theresa Leberle

Podium zum Change-Management. Foto: Theresa Leberle

Dr. Brigitte Schwinge stellte ein vier-Räume-Modell des Wandels vor, über Selbstzufriedenheit, Ablehnung, Verwirrung bis hin zur Erneuerung. Für Michael Bröcker, Chefredakteur der Rheinischen Post, war klar: „Wer die neue Welt nicht anerkennt, muss gehen“. Nicole Hanisch vom Institut rheingold Salon zufolge zeigten jedoch Studien zur Mediennutzung, dass die Beschaffenheit dieser neuen Welt alles andere als entschieden sei. Ein Nutzungstyp sei der „Local Hero“, der an seiner Stadt und der lokalen Printzeitung hängt. Es gebe aber auch einen Nutzungstypen, „für den local mehr social ist, der sich also eher mit einer Community, mit Personen identifiziert statt mit einer Stadt“. Beide Gruppen können jedoch lokal bedient werde: „Identitätsthemen im Lokalen müssen sein“, und „Lokalredakteure sollten im Mittelpunkt der Community stehen“, war Bröckers Credo.

Austausch über die eigene Arbeit brachte vor allem das Format „Praxisgespräche“, das dieses Jahr in die zweite Runde geht.

In Gruppe I „Augmented Reality/Virtual Reality – Echter Mehrwert für die Leser“ stellten Martin Krotki von Connect2Media und Christian Radtke, Leiter Customer Relationship Management der Weser-Kurier Mediengruppe einige Anwendungsbereiche von AR vor. „AR ist die Brücke zwischen Print- und Digitalinhalten“, sagte Martin Krotki. Täglich werden laut Radtke 15 Artikel im Weser-Kurier mit Spezialeffekten wie beispielsweise Wetterradar oder Veranstaltungskalender versehen. Etwa 20.000 Euro kostet die Programmierung einer App laut Krotki, die eigene App würde jede Woche zwischen 3000 und 4000 Mal genutzt werden.

Im Praxisgespräch II „Paid Content – Konzepte und Erfahrungen“ wurde diskutiert, wie Zeitungen ihre Online-Inhalte vermarkten können. „Das Reichweitenmodell ist gescheitert“, sagte Christian Lindner, Chefredakteur der Rhein-Zeitung; er ist überzeugt davon, dass man mit dem Festhalten daran viel Zeit verloren habe. Im Jahr 2013 stieg die Rhein-Zeitung in das Metered Model ein, 2014 ging sie von zehn Freiartikeln pro Monat auf zwei herunter. Etwa ein Drittel der Reichweite sei weggebrochen, allerdings habe die Rhein-Zeitung inzwischen 36.000 registrierte Nutzer.

In der Gruppe III „ Lokales 4.0 – von der Tradition zur Innovation“ stellten Michael Husarek von den Nürnberger Nachrichten das wöchentlich erscheinende digitale Magazin SamSon, sowie Tobias Köpplinger vom Nordbayerischen Kurier die neue Arbeitsweise der Redaktion „Online to Print“ vor. Lektion: Aktuelle Formate müssen online laufen, Nachrichten haben im Print ausgedient; gezielt entschleunigte Formate wie SamSon und zeitlose Erklärvideos und Reportagen lohnen sich online aber auch. Wenn man bereit ist, Personal zu investieren.

Foto: Stefan Worring, Kölner Stadt-Anzeiger

Forum Lokaljournalismus 2015: Nachfragen erwünscht. Foto: Stefan Worring, Kölner Stadt-Anzeiger

„Inspiration im Newsrom – neue Köpfe, neue Konzepte“, lautete das Motto des Praxisgesprächs IV. Zu den Neuerungen der Ostsee-Zeitung gehören beispielsweise: ein Schichtdienst von 7 Uhr morgens bis 22 Uhr abends, fliegende Reporter, die mit einem Dienstwagen drei Tage pro Woche überall in der Region unterwegs sind und ihre Texte im Auto oder in eigens angemieteten kleinen Büros schreiben, und auch Facebook-Schulungen für die Mitarbeiter. Daniel Fiene, derzeitig Social Media Manager bei der Rheinischen Post, berichtete von positiven Erfahrungen mit WhatsApp: Jeder zweite würde versendete Links auch klicken – und es gebe jede Menge positives Feedback.

Praxisgespräch V „Lösungen für Smartphone, Tablet oder Web-App“ drehte sich um den mobilen Nutzer. „Die Nutzungs- und Lesegewohnheiten ändern sich und wir ziehen Konsequenzen“, sagte Philipp Ostrop, Leiter digitale Inhalte der Ruhr Nachrichten. Zum Beispiel mit neuen Social-Media-Redakteuren, die als „digitale Zusteller“ agieren, dem Chefredakteursnewsletter, den die Redaktion täglich morgens um 5 Uhr an etwa 10 000 Empfänger via E-Mail verschickt und mit einer digitalen Sonntagsausgabe nur für Abonnenten des E-Papers. Die Stuttgarter Nachrichten stellten die Nachrichten-App S-Vibe vor, die Artikel nach einem Algorithmus aus Aktualität und Klickzahlen sortiert.

Wieder zurück auf dem Podium diskutierten Politiker, Wissenschaftler und Journalisten über Haltung und Mittel eines Journalismus, der noch Wächter und Erklärer im Lokalen sein kann. Dr. Christian Humborg, Geschäftsführer von CORRECT!V glaubt, dass „viele Menschen das Gefühl haben, dass Zeitungen Widersprüche nicht hart genug ansprechen und aufdecken.“ Laut Zeitungsforscher Horst Röper seien Redaktionen teils zu schwach besetzt, um kritisch zu berichten. „Die Frage ist: akzeptieren wir es als Gesellschaft, dass die Ressourcen für den Lokaljournalismus geringer sind?“ Auch Marc Jan Eumann, Staatssekretär bei der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen, stellte die Finanzierungsfrage und schielte auf Steuern und das Gemeinwesen. „Wir finanzieren schließlich auch Goethe-Institute, damit sie die deutsche Kultur in die Welt bringen.“

Foto: Stefan Worring, Kölner Stadt-Anzeiger

Foto: Stefan Worring, Kölner Stadt-Anzeiger

Wer vermitteln und Inhalte in die Welt bringen will, muss verstanden werden. Eine tolle Optik hilft dabei. Norbert Küpper, Zeitungsdesigner, brachte ein „Best of European Newspapers“ mit. „Die ganzen Zeitungen in Europa sind auf Tabloid gegangen, weil sie dann dicker wirken“, sagte er. Mit Dutzenden Layoutern werden Doppelseiten großräumig genutzt für riesige Fotos, Fotoreportagen, Grafiken und liebevoll arrangierten Objekten und Texten; die besten Beispiele fänden sich in Skandinavien.

Diese Designs sind nicht selten preisgekürt. Der wohl begehrteste Preis im Lokaljournalismus ist jedoch der Deutsche Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Wer laut Juryleitung Heike Groll Preise gewinnen möchte, müsse „ein Stadtgespräch anstoßen, das auch eines bleibt“. „Wichtig ist es, konzeptionell zu denken und organisiert zu arbeiten. Qualitätsfragen sind auch Organisationsfragen“, sagte Dr. Dieter Golombek, der bisher Sprecher der Jury und auch Gründer des Lokaljournalistenprogramms Konrad  Adenauer Stiftung war.

In einer Welt, in der „Algorithmen Menschen verändern“, Smartphones zum Beruhigungsmittel der Masse werden und sich der Leser nach einem roten Faden im Informationschaos sehnt, darf der Journalist nicht einfach nur Nachrichten bringen. Vor allem muss er sich selbst zur Diskussion stellen und Innovationen persönlich nachvollziehen. “Als Journalist muss ich ganz genau wissen, was passiert”, sagte Christoph Krachten, Geschäftsführer von Videodays GmbH auf dem Podium über “Medien 2020: “So geht Aufbruch ohne Ballast”. Der Ballast, von dem wir uns befreien müssen, sind laut Krachten falsche Denkmuster. „Ich muss wissen, was die Stärken und Schwächen meines Mediums sind”.  Für ihn ist Zeitung „kein Nachrichtenmedium mehr“.

Foto: Stefan Worring, Kölner Stadt-Anzeiger

Donnerstagabend im Kölner Karnevalsmuseum. Das Abendprogramm organisierte der Kölner Stadt-Anzeiger. Foto: Stefan Worring, Kölner Stadt-Anzeiger

Ein zentrales Medium ist das Smartphone. Laut Stephan Grünewald, Geschäftsführer des rheingold-instituts,  ist es “zum Körperteil” geworden. Je mehr die Menschen mit dem Smartphone verwachsen sind, desto mehr kreisen die Menschen um sich selbst”, sagte er. Die andere Entwicklung sei aber, dass die Leute wieder “in Geschichten eintauchen und an Schicksalen teilhaben wollen”. Das könne der Lokaljournalismus leisten. Der Lokaljournalist werde “zum lokalen Eventmanager”. Er wird die Menschen ins Gespräch und zusammenbringen.

Auf dem Abschlusspodium wurden all die Themen gestreift, die die Branche umtreiben: Digitalisierung, Finanzen, Nähe zum Leser, junges Zielpublikum, struktureller Wandel. Mit den Worten von Christoph Linne, Chefredakteur der Oberhessischen Presse: „Inhalte, Daten, Netzwerke“ – darum gehe es in Zukunft. Leicht wird es nicht, Lösungen zu erarbeiten. Denkanstöße gedeihen aber am besten im Austausch – wie auf dem Forum Lokaljournalismus.

Spaß am digitalen Journalismus

                                                                                     copyright: Max Gršnert

Philipp Ostrop im Praxisgespräch Foto: KstA

Praxisgespräch V.: „Lösungen für Smartphone, Tablet oder Web-App“. Sechs Uhr morgens an einem Wochentag: Der Wecker des Smartphones klingelt zur gewohnten Zeit. Schnell das störende Geräusch mit der Schlummerfunktion abstellen. Noch einmal kurz umdrehen, nach ein paar Minuten erklingt das lästige Geräusch erneut. Entweder jetzt oder spätestens beim Frühstück nimmt so manch einer den Dauerbegleiter Smartphone zur Hand. Es werden aktuelle Nachrichten gelesen. Erste Tweets mit den Followern geteilt. E-Mails kontrolliert. „Es gibt morgens einen dramatischen Anstieg der mobilen Nutzung “, sagt Philipp Ostrop, Leiter digitale Inhalte und Mitglied der Chefredaktion der Ruhr Nachrichten in Dortmund, im Praxisgespräch 5. „Die Nutzungs- und Lesegewohnheiten ändern sich und wir ziehen Konsequenzen.“

Digitale Zusteller

Die sehen so aus: Bei den Ruhr Nachrichten gibt es beispielsweise zwei neue Social-Media-Redakteure. Diese zwei Journalisten „sind die digitalen Zusteller“.  Eine weitere Neuerung ist der Chefredakteursnewsletter, den die Redaktion täglich morgens um 5 Uhr an etwa 10 000 Empfänger via E-Mail verschickt. Eine günstige Möglichkeit, möglichst viele Leser zu erreichen. „Alles was wir tun, muss mobil funktionieren. Inhalte natürlich auch.“ Davon ist Ostrop überzeugt. Soziale Netzwerke seien der neue Vertriebskanal für Informationen.

Ein weiteres Produkt, das die Ruhr Nachrichten in der BVB-Stadt eingeführt haben, ist eine digitale Sonntagsausgabe. Diese erhalten nur Abonnenten des E-Papers. „Das ist eine Printausgabe, die wir einfach nicht drucken“, sagt Ostrop. Nur sei das E-Paper magazinähnlicher gestaltet und mit längeren Lesestücken gefüllt. Die Ausgabe für Montag wird dementsprechend angepasst und ist für alle Leser dann wieder die gleiche. Seitdem es die digitale Sonntagszeitung gebe, „haben die Ruhr Nachrichten etwa 1500 neue E-Paper Kunden dazugewonnen.“

S-Vibe

Bei den Stuttgarter Nachrichten war es die E-Mail eines Lesers, die der Auslöser für die Entwicklung einer neuen App war. Das Ergebnis: S-Vibe. Eine App, die sich auf Stuttgarter Lokalnachrichten konzentriert und für die Generation Facebook besonders attraktiv ist, sagt Tobias Köhler, Leiter Strategie und Innovation, Südwestdeutsche Medienholding Stuttgart.

Doch was unterscheidet die App von herkömmlichen Nachrichtenapps? Zum einem ist sie als Ergänzung zum Angebot der Stuttgarter Nachrichten gedacht. Zum anderen haben die Medienmacher keinen Einfluss darauf, welche Themen in der breiten Kachelstruktur dem Leser zuerst präsentiert werden. Dies geschieht mittels eines Algorithmus. Die Aktualität und die Klickzahlen eines Artikels entscheiden, wie er positioniert wird. Die Klickzahlen sind bei der App gleichzeitig eine Bewertung der Themen, was durch das Swipen  erfolgt. Interessiert eine Meldung nicht, kann sie einfach weggeschoben werden und verschwindet aus der Liste. Eine Navigation, beispielsweise durch Ressorts, fehlt. „Schnell, schlank, schick und nur für Stuttgart.“ Das sei der Slogan, nach dem die Journalisten und Programmierer die App konzipiert haben.

Wie lässt sich mit diesen Produkten Geld verdienen? „Wenn eine große Masse mit den Angeboten erreicht wird, ist der Werbeumsatz durchaus ein Thema“, sagt Martin Jungfer, Leiter Redaktionsmarketing und Produktmanagement Reach bei der Neuen Züricher Zeitung, der das Gespräch moderiert hat. „Ob ich Erfolg habe, das hängt von meinem Produkt ab“, sagt Köhler. Wichtig sei es, ein solches langfristig attraktiv zu machen. Köhler gab seinen Kollegen den Rat, einfach mal ein bisschen rumzuspinnen, Dinge auszuprobieren und Spaß daran zu haben. So könnten Innovationen entstehen.

Begeistert von den vorgestellten Ideen zeigte sich so mancher Journalist auf Twitter. „@tokoe und @PhilippOstrop liefern zum Beispiel smarte Ideen und Lösungen in Hülle und Fülle, wie es besser geht.“, twitterte Christoph Linne, Chefredakteur Oberhessische Presse. Michael Bröcker, Chefredakteur Rheinische Post, twitterte: „Von @ruhrnachrichten und @PhilippOstrop kann man viel lernen! Spaß am Digital Journalism!“

Text: Theresa Leberle

Neues gewagt in Franken

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Innovationen auf dem Prüfstand. Michael Husarek (vorne) im Praxisgespräch

Praxisgespräch III: „Lokales 4.0 – von der Tradition zur Innovation“. Tische raus, Beamer an, und die Stühle in einen Kreis gerückt: Auch für die größte Praxisgesprächsgruppe des Forums Lokaljournalismus 2015 in Köln mit an die 40 Teilnehmern allein in der ersten Tageshälfte war klar, dass dies kein Frontalunterricht werden würde. Sondern ein runder Tisch, bei dem man sich gegenseitig ins Gesicht blick, und genauso ehrlich wie unverblümt fragt und antwortet – zu handfesten Formaten, die „Lokales 4.0“ alle Ehre machen.

SamSon aus Nürnberg
Los ging’s mit einem digitalen Magazin namens „SamSon“, das Michael Husarek, stellvertretender Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten vorstellte. SamSon steht für „Samstag und Sonntag“ – und ist eine entschleunigte, magazinige Form des Lokaljournalismus.  „Marktforscher haben uns zu verstehen gegeben, dass es durchaus Sinn macht, im Netz auf langsamere Formate zu setzen“, sagte Husarek. SamSon wird wöchentlich produziert und jeden Freitag um 18 Uhr als iPad-Ausgabe und normal im Browser veröffentlicht. Rein digital sei es auch deswegen, weil man sonst Konkurrenz zu anderen Magazinen im Haus sehe, sagte Husarek. Pro Ausgabe seien bis zu 20 Beiträge enthalten, darunter auch kleinere Komponenten wie Buchtipps und Audiodateien. Doch das Herzstück sind „drei, vier lange Beiträge pro Ausgabe, es sind auch Videos und auch mal eine Audioslideshow dabei“. Nachrichtliches spiele keine Rolle. Und Resteverwertung auch nicht. Ein Kernteam aus drei Mitarbeiterinnen produziere eigene, exklusive Inhalte zusammen mit der Zuarbeit aus der Redaktion. Einzelnde SamSon-Ausgaben gibt es im App-Store für 1,99 Euro, im Abo für 6,50 Euro oder als Kombi-Produkt im digitalen Abo. Die Frage, die alle im Raum bewegte und auch schnell gestellt wurde: Schön und gut, aber lohnt sich das? So begannen die ersten Diskussionen.

„Der eigentliche Effekt für uns war, dass wir die digitalen Abonnenten bei der Stange halten“, sagte Husarek. Etwa 30 Prozent von ihnen nutzen das Produkt. Einzelkäufer oder -abonnenten gebe es kaum, „das sind nur wenige Überzeugungstäter im dreistelligen Bereich“. Diejenigen, die SamSon nutzten, nutzten es aber intensiv: Die Verweildauer sei etwa fünfzehn bis zwanzig Mal höher als der Website. Husarek rechnet damit, dass SamSon in ein, zwei Jahren Erfolg zeigen wird. Die Frage ist, ob das reicht. Mit dem Marketing sei es zeitweise schwierig gewesen. SamSon wurde im Heft, im App-Store und mit Citylight-Postern vertrieben, eine teure Kampagne der Werbeabteilung, mit mäßigem Erfolg. SamSon sei nicht verstanden worden.

Die zweite große Variable des Gesprächs war der Aufwand: Diskutiert wurde besonders das Thema Video. Ein Teilnehmer berichtete von den eher fragwürdigen Ergebnissen, die Volontäre von Smartphone-Video-Terminen mitgebracht hatten. „Erwarten das die Leute wirklich von Print?“ Husareks Antwort: „Der Workflow rund um die Videos ist zäh¨. Aber ein Mehrwert ist es für die Leser schon. Für SamSon gibt es zwar einen Bildredakteur, aber die Videos machen die Redakteure, die auch die Texte schreiben. Nachfragen prasselten auf ihn ein: Ja, echte Kameras und Schulungen gebe es, aufwändig bleibe der Prozess. Husarek verteidigte SamSon jedoch auf jeder Linie. Die hohen Personalkosten aufgrund der exklusiven Inhalte und die Werbefreiheit im Magazin selbst. An ¨branded content denken wir nicht, obwohl die Anzeigenabteilung ständig daran denkt¨. Das Experiment geht weiter.

Online to Print in Bayreuth
Weniger um Produkte, sondern mehr im Strukturen ging es bei der Vorstellung von Tobias Köpplinger, Redakteur beim Nordbayerischen Kurier: Dieser verfährt seit dem Frühjahr „Online to Print“, es wird also erst für Online produziert und dann für Print ausgewählt. Das hört sich simpel an, verändert jedoch traditionelle Selbstverständnisse von Grund auf. „Online fällt die Chronistenflicht weg. Der Leser wird durch den ganzen Tag begleitet“, sagte Köpplinger. Er betonte drei Grundprinzipien der neuen Arbeitsweise:

Erstens: Aktualität. Im Netz gibt es schnelle Liveticker, Videos und mehr, in Print wird weitererzählt und Geschichten zum Abschluss gebracht.
Zweitens: ¨Dranbleiber¨ sind Beiträge, die länger interessant bleiben, Themen aufarbeiten und Hintergrundinfos geben. Wie ein Erklärvideo zur Straßenausbau-Beitragssatzung mit Playmobil-Männchen, das von zwei Mediengestaltern an eineinhalb Tagen produziert wurde.¨ 80 Prozent der Leute, die sich das Video angesehen haben, schauten es zuende¨, sagte Köpplinger. „Plötzlich erreicht man Leute mit Kommunalpolitik, die man vorher nicht erreichen konnte.“
Drittens: „Zeitloser“ Content. Ein Kollege habe an vier Wochen im April auf acht Seiten eine kleine Sonderausgabe zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Bayreuth produziert – und eine Webreportage. Das Video macht Eindruck, es läuft der O-Ton eines Zeitzeugen im Hintergrund, historische Aufnahmen, seriöse Musik. Es ist professionell gemacht, aber das „könne man nicht jeden Tag machen“, meinte Köpplinger.

Für Köpplinger geht es nicht ohne eine komplette Umstrukturierung des Arbeitstags. „Wir haben hier 45 Kollegen in der Redaktion in Bayreuth, die bisher mit Block und Stift bewaffnet Zeitung gemacht haben. Jetzt reicht das nicht mehr. Wir können uns keine Spezialisten leisten“, sagte er. Wie genau sieht eine Konferenzplanung da aus, wollte ein Teilnehmer wissen?

Die Kalenderwochen werden etwa eine Woche im Voraus geplant. Und dann werde geschaut, welche Themen längerfristig geplant werden können. „Der Kollege, der den Text für Print schreibt, macht das Video nicht. Er muss sich nur überlegen, was man zu dem Text zusätzlich erzählen könnte.“ Das Print-Produkt sei nur der Abschluss. Für Reporter sei das kein Mehraufwand. Und für aktuelle „Notfälle“ gebe es eine „freie Spitze“, die alles stehen und liegen lässt.

Online sei nicht nur für die Nutzer eine Begleitung durch den Tag, sondern auch für die Redaktion. Mit Chartbeat und Google Analytics sei die Website konstant im Monitoring. ¨Und wenn ein Beitrag nicht läuft, ziehen wir einen anderen hoch¨, sagte Köpplinger. Die Dramaturgie der Website spiegele auch in die sozialen Medien.

Probleme gebe es vor allem mit den Leuten aus dem Vertrieb, die nicht verstünden wie beispielsweise Liveticker funktionieren und daher Probleme habe, es Werbepartnern anzupreisen, sagte Köpplinger. „Die denken, wir hätten nur einen Liveticker, dabei machen wir zig Ticker zu zig Themen.“

 

Probleme in der Praxis
Die Teilnehmer waren in ihren Meinungen dazu gespalten: Jemand bemängele, dass so viel Gleichzeitigkeit auf den Terminen in der Praxis schwer machbar sei. Konsens: Es kann die eierlegende Wollmilchsau nicht geben.  Und nicht jede Redaktion kann Mediengestalter einstellen. Aber Multimedia-Formate sind eine „Chance für den User“, sagte ein Teilnehmer: ¡„Ein kurzes, schnell gemachtes Video über einen alten Mann, der nach einem Unfall am Reck turnt, sagt mehr als ein Zeitungstext es je könnte.“ Er nannte die Seite www.Kusel.tv als Bespiel für eher laienhafte Videos, die aber ankommen: „Das ist eine sehr kleine Stadt, und das sind weder professionelle Videomacher noch Journalisten, doch die kriegen echt jeden aus der Zielgruppe.“

„Es ist ein Trugschluss, alle mit Smartphones auszustatten und dass dann jeder erwartet, damit Videos machen zu können“, war sich auch das Plenum einig. Doch: Die Vorteile aller Kanäle zu nutzen, Arbeitsweisen dann auch mal zu ändern und Long-Form-Journalismus nicht zu vergessen – das lohne sich.

Text: Sabrina Gaisbauer